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Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand

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Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand

Märchen aus Josef Haltrichs Sammlung Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen (1856);

Ein kluger, aber armer Mann verlässt sein Dorf und seine Frau, um in der Fremde Reichtum zu erwerben. Seiner Armut wegen erachten seine Nachbarn alles für töricht, was er sagt, so gescheit es auch sein mag. Er verdingt sich also bei einem großen Herrn als Ziegenhirte und wird nach zwanzig Jahren für seinen treuen Dienst reich belohnt. Außerdem gibt ihm sein Herr einen wichtigen Rat mit auf den Weg: Daheim angekommen solle er erst dreimal seinen Zorn abkühlen lassen, bevor er etwas tut.

In seinem Dorf angekommen, wird er von niemandem erkannt. Er kehrt zunächst bei seinem Nachbarn ein und sieht seine Frau mit einem jungen Mann ins Haus gehen. Beide scheinen sehr glücklich zu sein, und als er vom Nachbarn erfährt, dass im Haus der Nachbarin (seiner Frau) morgen Hochzeit sei, packt ihn die Wut. Fast hätte er sein treuloses Weib ermordet, doch besinnt er sich rechtzeitig auf die Mahnung seines Herrn. Beherrscht tritt er also vor seine Frau, die ihn ebenfalls nicht erkennt. Freundlich bittet sie ihn dazubleiben, denn heute sei die Hochzeit ihres Sohnes. Nun schämt sich der Mann für seinen üblen Verdacht gegen die Frau und dafür, dass er seinen damals noch kleinen, inzwischen erwachsenen Sohn vergessen hat. Glücklich feiert die Familie das Wiedersehn und die Hochzeit des Sohnes.

Der Mann aber wurde wegen seines Reichtums nun bald bekannt im Dorfe und angesehen, und was er jetzt immer sagte, das galt bei den Leuten und fand Glauben. Da erzählte er eines Tages in einer Versammlung: er habe eines Abends seine Ackereisen ins Stroh gelegt, und siehe da, bis zum Morgen hätten die Mäuse dieselben gefressen. Die Leute machten große Augen, es fiel aber keinem ein, daran zu zweifeln.


Anne Anderson

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Anne Anderson

Anne Anderson (*1874, †1930) war eine schottische Illustratorin, hauptsächlich von Kinderbüchern.

 

Im Märchenatlas werden in folgenden Artikeln Bilder von Anderson gezeigt:

The Little Match Girl

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

Grimms Märchen

Hans Christian Andersen

Sonstige

Hans Christian Andersen, A bis Z

Hans Christian Andersen

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Hans Christian Andersen

Hans Christian Andersen, geboren 1805 in Odense, gestorben 1875 in Kopenhagen, war ein dänischer Dichter. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend und zeitlebens ein Außenseiter schuf er mit seinen Märchen (Eventyr, fortalte for børn) Weltliteratur und dürfte noch immer der international bekannteste dänische Schriftsteller sein. Neben den Märchen schrieb er Gedichte, Reisebeschreibungen und Bildungsromane; desweiteren arbeitete er fürs Theater. Unter dem Titel Mit Livs Eventyr (Das Märchen meines Lebens) publizierte er seine Autobiografie, die er selbst als den besten Kommentar zu seiner Dichtung bezeichnete.

Andersens Märchen

Die zwischen 1835 und 1872 erschienen Märchen des großen dänischen Dichters sind außerordentlich zahlreich (mehr als 150)  und stilistisch vielseitig. Beeinflusst von Volksmärchensammlungen ebenso wie vom Kunstmärchen (insbesondere der deutschen Romantik) schrieb er diese Texte mit doppeltem Anspruch: Sie seien für Kinder geschrieben, denen Erwachsene über die Schulter blicken. Scheinbar naiv, mitunter auch belehrend, romantisch und voller »kindgerechter« Zauberei stecken sie doch oftmals voller Anspielungen, sind Gesellschaftssatire (etwa Des Kaisers neue Kleider, Die Prinzessin auf der Erbse) oder pessimistische Gesellschaftsanalyse (Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen).

Auswahl

Amor und Psyche

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Amor und Psyche

Die Erzählung von Amor und Psyche ist Teil des Romans Metamorphosen (auch Der goldene Esel) von Lucius Apuleius (* um 123, † um 170). Das Wort Metamorphosen bedeutet »Verwandlungen« — die Handlung des Romans wird also immer wieder durch fantastische Sprünge vorangetrieben, wie sie für unsere neuzeitlichen Märchen charakteristisch sind. Der Roman als Ganzes ist jedoch vielschichtig, kunstvoll verschachtelt und verwoben, und lässt konkurrierende Deutungsansätze zu. Der Erzählton wie auch die überraschenden Wendungen verleihen dem Ganzen parodistische Züge, wodurch der Roman auch auf heutige Leser erstaunlich frisch und modern, vor allem aber: unterhaltsam, wirkt. Dies war auch die Absicht des Autors, der in der Einleitung warnt: »Leser, pass auf: du wirst dich amüsieren!« Stilistisch hatte der Roman großen Einfluss, der unter anderem in Boccaccios Decamerone, in Schelmenromanen (Don Quijote, Simplicissimus) sowie in modernen Märchen(parodien) sichtbar wird.

Der Roman ist in elf Kapiteln (»Büchern«) aufgebaut. Die äußere Rahmenhandlung dreht sich um die Abenteuer des Erzählers Lucius, der (als Strafe für seine Neugier) in einen Esel verwandelt wird und erst nach langer Irrfahrt am Ende wieder seine menschliche Gestalt zurück erhält. Die Geschichte vom Göttersohn Amor und der sterblichen Königstochter Psyche beginnt am Ende des vierten und endet am Anfang des sechsten Buches und bildet somit das Zentrum des Romans. Am Ende des Romans offenbart sich, dass diese Kernerzählung gewissermaßen die Rahmenerzählung spiegelt, wobei das Schicksal Psyches der Irrfahrt des Lucius entspricht. Das Grundmuster finden wir zum Beispiel in Grimms Märchen Das singende, springende Löweneckerchen: ein schönes, junges Mädchen wird aufgrund einer schicksalhaften Verstrickung mit einem Untier verheiratet, führt dann mit diesem eine entgegen der Erwartung harmonische Beziehung, die aber nicht öffentlich ist. Ein Tabubruch seitens der Frau, forciert durch ihre Schwestern, führt zur Trennung des Paares just in dem Moment, in dem die Frau die wahre Gestalt ihres Gatten erkennt. Nach einer langen, beschwerlichen Suche und dem Bestehen übermenschlicher Prüfungen findet die Frau ihn wieder. Die Beziehung wird erneuert und legitimiert.

Inhalt

Ein Königspaar hat drei schöne Töchter, wobei die Schönheit der Jüngsten die aller Sterblichen übertrifft. Ihr Name ist Psyche, und sie wird von Untertanen und von Fremden wie eine Göttin verehrt. Das Gerücht macht die Runde, eine neue Göttin sei, wie einst Aphrodite (Venus), aus Schaum geboren. Die alten Tempel werden vernachlässigt, während zu Ehren Psyches Feste gefeiert, Opfer gebracht werden und Blumen gestreut werden. Dies erzürnt die echte Venus. Die eifersüchtige Göttin beauftragt ihren Sohn Amor (Cupido), den Experten für Verkupplungen, dafür zu sorgen, dass sich Psyche in den geringsten und am wenigsten geachteten Mann verliebt.

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Edward Burne-Jones, Psyche’s wedding, 1895

Indes leidet Psyche wegen ihrer Schönheit. Denn die ihr entgegengebrachte Bewunderung macht sie unnahbar. Während ihre älteren, mit eher mittelmäßiger Schönheit ausgestatteten Schwestern längst das Glück und den Status verheirateter Frauen genießen, hält kein einziger Mann um Psyches Hand an. Der Vater ist deswegen ratlos und befragt das Orakel des Gottes Apoll. Die Antwort des Orakels verheißt nichts Gutes für Psyche. Der Vater soll sie »zur Hochzeit wie zur Leiche geschmückt« auf einen bestimmten Berggipfel führen; dort würde sie, da kein Sterblicher bereit ist, sie zu heiraten, von einem geflügelten, grausamen und mächtigen Ungeheuer abgeholt. Die Eltern sind tief betrübt, doch das Orakel duldet keinen Widerspruch.

Bouguereau-AmorPsyche

William Adolphe Bouguereau. The abduction of Psyche, 1895

Psyche wird auf den Berg gebracht und schließlich allein dort zurückgelassen. Das Schlimmste erwartend, fühlt sie sich plötzlich sanft emporgehoben. Ebenso sanft längt sie der unsichtbare Retter auf einer Wiese in einem lieblichen Tal ab, wo sie einschläft. Als sie wieder aufwacht, sie sie vor sich einen märchenhaft schönen Palast. Sie betritt den Palast und sieht sich überall mit immer größerem Staunen um. Erstaunlich ist außer der Pracht auch der Umstand, das nichts von all den Kostbarkeiten verschlossen ist. Außerdem ist nirgendwo eine Menschenseele zu sehen. Als sich Psyche dessen bewusst wird, sagt eine körperlose Stimme zu ihr, sie sei die Herrin des Palastes und solle nun ins Schlafzimmer gehen, um sich auszuruhen. Im Bad wie bei Tisch wird sie von unsichtbaren Dienerinnen umsorgt.

Als es Nacht wird, sorgt sie sich um ihre Unschuld, wobei sie selbst nicht genau weiß, worum genau sie sich sorgt. Tatsächlich kommt ein Unbekannter zu ihr ins Bett und schläft mit ihr, doch sie kann sein Gesicht nicht sehen. Es ist  Amor, der sich in Psyche verliebt hat, und sie deshalb von Zephyr, dem Herrn der Winde in seinen Palast bringen ließ, anstatt sie gemäß dem Wunsch seiner Mutter dem Ungeheuer als Braut zuzuführen. Amor kommt von nun an jede Nacht in Psyches Schlafgemach. Hatte sie sich anfangs noch geängstigt, findet sie zunehmend Gefallen an dieser Ehe, obwohl sie ihren Mann nie zu sehen bekommt, sondern ihn nur fühlt und hört. Doch das Glück ist nicht von Dauer. Amor gestattet Psyche, ihre Schwestern besuchsweise zu empfangen, obwohl er kein gutes Gefühl dabei hat. Er warnt sie, nicht auf die Schwestern zu hören, die versuchen würden sie zu überreden, heimlich einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der jede Nacht bei ihr liegt. Würde sie diesem Drängen nachgeben, dann würde sie großes Uglück über sie beide bringen. Doch Psyche hört nicht auf Amors Warnung. Die Schwestern haben ihr wesgemacht, ihr Gatte sei eine Schlange und würde sie, die inzwischen schwanger ist, verschlingen. Verstört bricht Psyche das Versprechen, das sie ihrem Mann gegeben hat, und betrachtet ihn im Licht einer Öllampe, ein Messer in der Hand, um nötigenfalls die Schlange zu töten. Doch was sie sieht, ist keine Schlange, wie befürchtet, sondern ein überaus schöner Mann mit Flügeln. Sie begreift, dass sie mit Amor selbst, dem Gott der Liebe, verheiratet ist. Psyche ist so überwältigt, dass sie die Öllampe vergisst. So kommt es, dass ein heißer Öltropfen auf Amors Schulter tropft wovon er erwacht.

Amor, der für Psyche seine Mutter Venus betrogen hat, sieht sich nun selbst betrogen und fliegt davon. Nun erfährt auch Venus von der heimlichen Liebschaft ihres Sohnes, noch dazu mit der schlimmsten Frau von allen, die sterbliche Psyche, die ihr in Sachen Schönheit Konkurrenz macht. Venus ist außer sich vor Wut und befindet in dieser Verfassung, dass ihr Sohn Amor im Grunde schon immer ein Taugenichst und Troublemaker war. So gestimmt, trifft sie die Göttinnen Ceres Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit) und Juno (Göttin der Geburt), die sei zu besänftigen suchen und ihr zu bedenken geben, dass Amor nun mal ein junger Mann und überdies ihr Sohn ist.

Indessen irrt Psyche in der Welt umher und sucht ihren Mann, ohne zu wissen, wie sehr sie die rachsüchtige Venus fürchten muss. Ceres und Juno, die sie um Hilfe bittet, weisen sie ab, das sie sich Venus loyal verbunden fühlen. Der Götterbote Merkur verbreitet im Auftrag von Venus überall die Kunde von der nichstwürdigen Psyche, um sie schnellstmöglich herbeizuschaffen. Inzwischen hat Psyche jedoch beschlossen, sich freiwillig zu ihrer Feindin und Schwiegermutter zu begeben und sie um Vergebung zu bitten. Die Begegnung zwischen den beiden ungleichen Frauen ist erwartungsgemäß schlimm. Zu allem Groll, den Venus ohnehin gegen Psyche hegt, kommt hinzu, dass diese offenbar schwanger ist. Um sie zu demütigem stellt sie Psyche eine unlösbare Aufgabe: sie schüttet Weizen, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen durcheinander auf einen großen Haufen und verlangt von Psyche, bis zum Abend alles in geterennte Häufchen zu sortieren. Psyche weint. Einzige Zeugin ist eine Ameise, die großes Mitleid mit der Frau eines Gottes empfidet. Sie ruft ihre Gefährtinnen und erledigt die Aufgabe im Handumdrehn. Venus ist nicht besänftigt, sondern wird nur noch wütender. Sie stellt Psyche eine neue, unlösbare Aufgabe: sie soll von einer in der Ferne weidenden Schafherde ein Flöckchen Wolle holen. Psyche zieht los, allerdings in der Absicht, sich in den Fluss zu stürzen und allem Leid ein Ende zu setzen. Doch das Schilfrohr bittet sie, den Fluss nicht durch eine solche Tat zu entweihen und sich selbst zu schonen. Es gibt Psyche einen Rat, wie sie an die begehrte Wolle kommen kann. Psyche bringt Venus die Wolle, doch die ist noch immer nicht gnädig gestimmt. Als dritte Prüfung erlegt sie ihr auf, Wasser aus einer zwischen steilen Bergen liegenden, unzugänglichen Quelle zu bringen. Hier greift Jupiter ein um zu helfen und schickt einen Adler, der hinabfliegt und Psyches Krug füllt. Nachdem zu Venus’ Erstaunen auch die dritte Aufgabe gelöst ist, sinnt sie nur noch auf Psyches Verderben.

Die vierte Aufgabe, das erkennt auch Psyche nur allzu deutlich, hat den einzigen Zweck, sie für immer loszuwerden. Venus schickt sie in die Unterwelt (den Orkus), um von Prosperina (griechisch Persephone) eine Büchse Schönheitssalbe zu holen. Psyche beschließt, sich von einem hohen Turm zu stürzen, denn dies scheint ihr der kürzeste Weg zu sein, um in die Unterwelt zu gelangen. Doch der Turm beugt sich zu ihr herab und beschreibt ihr genauestens, wie sie sicher die Unterwelt gelangt und — vor allem — auch sicher wieder zurück. Zu den wichtigsten Ratschlägen des Turms gehört der, die Büchse mit der Schönheitssalbe der Prosperina keinesfalls zu öffnen.
Psyche tut, was der weitschauende Turm ihr geraten. Doch als sie nach vielerlei Abenteuern die Unterwelt wieder verlassen hat, kann sie der Versuchung nicht widerstehen, von der Salbe zu probieren, die, wie sie annimmt, göttliche Schönheit verleiht. Sofort fällt sie in einen tiefen Schlaf, den Schlaf des Todes. Zum Glück ist Amor inzwischen von seiner Wunde genesen. Er findet seine Psyche und weckt sie mit einem seiner Pfeile. Sie schickt er zu seiner Mutter, um ihre Anweisung zu befolgen und die Salbe abzuliefern. Er selbst aber begibt sich zu Jupiter (Zeus), da es offensichtlich höherer Mächte bedarf, um seine Mutter Venus zu besänftigen. Jupiter vermählt nun Amor und Psyche in aller Form, und damit endlich auch die Mutter einverstanden ist, reicht er Psyche den Becher der Unsterblichkeit. Damit ist der Makel, dass Amor sich mit einer Sterblichen verbunden hat, aufgehoben. Kurz darauf werden bringt die unsterbliche Psyche ihre und Amors Tochter zur Welt, die sie Voluptas (Vergnügen oder auch Wolllust) nennen.

Allerleirauh

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Allerleirauh

Märchen aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (KHM 65)
Siehe auch Eselshaut (Peau d’Âne) von Charles Perrault

Inhalt

Illustration Arthur Rackham

Catskin. Allerleirauh. Eselshaut. Illustration von Arthur Rackham

Ein König verspricht seiner im Sterben liegenden Frau, nur dann wieder zu heiraten, wenn die neue Frau ebenso schön ist wie sie. Da die Königin sehr schön war, scheint eine zweite Ehe lange Zeit unmöglich. Doch dann fällt das Auge des Königs auf die eigene Tochter, die ihrer Mutter an Schönheit nicht nachsteht. Zum Entsetzen aller Hofräte begehrt der König seine Tochter zur Frau. Das Mädchen versucht, sich dem Inzest zu entziehen, indem es allerlei Wünsche an den Vater richtet, die es für unerfüllbar hält: drei Kleider (silbern wie der Mond, golden wie die Sonne und glänzend wie die Sterne) und schließlich einen Mantel aus tausenderlei Pelz (»Rau(c)hwerk«).

Der Vater lässt nicht von ihr ab und erfüllt alle ihre Wünsche. Deshalb flieht sie aus dem elterlichen Schloss und nimmt außer den Kleidern und dem Mantel drei goldene Gegenstände mit: einen Ring, ein Spinnrädchen und eine Haspelchen (Gerät zum Aufwickeln von Garn). Sie bedeckt ihr Gesicht mit Ruß, hüllt sich in den seltsamen Pelzmantel und versteckt sich in einem hohlen Baum. Sehr bald wird sie von den Jägern ihres Vaters aufgegriffen, bleibt aber unerkannt. Wegen ihres seltsamen Aussehen, mehr Tier als Mensch, nennt man sie nun Allerleirauh. Sie verrichtet in der Schlossküche die niedrigsten Arbeiten — und zieht dem König, ihrem Vater und Bräutigam, die Stiefel aus, die er ihr jedesmal an den Kopf wirft. Als aber auf dem Schloss ein Fest gefeiert wird, bittet sie den Koch, zuschauen zu dürfen. Sie wäscht ihr Gesicht, legt ihr Kleid von der Farbe der Sonne an und tanzt mit dem König. Der ist geblendet von ihrer Schönheit und merkt nicht, dass sie seine Tochter ist. Nach dem Tanz verschwindet sie schnell und hüllt sich wieder in Sack und Asche. Sie kocht dem König eine Suppe, in die sie den Ring fallen lässt, gibt ihm also ein Zeichen. Die Suppe schmeckt dem König so gut, dass er sich nach ihr erkundigt, doch sie antwortet, sie wäre nur dafür gut, dass man ihr die Stiefel an den Kopf wirft. Das Ganze wiederholt sich dreimal (mit den beiden anderen Kleidern und den beiden anderen Pretiosen), bis der König schließlich erkennt, wer sie ist.

Der König aber sprach »du bist meine liebe Braut, und wir scheiden nimmermehr von einander«. Darauf ward die Hochzeit gefeiert, und sie lebten vergnügt bis an ihren Tod.

Interpretation

Auch wenn die öffentliche und mediale Erregung oft etwas anderes suggeriert: Inzest und häusliche, sexuell motivierte Gewalt waren schon immer ein Thema und wurden entsprechend auch literarisch verarbeitet. Angesichts der großen Popularität gerade der Grimmschen Märchen scheint es verwunderlich, dass die brisante Geschichte von Allerleirauh nicht diesbezüglich im kollektiven Bewusstsein verankert sein sollte. Freilich enthält die Version der Brüder Grimm einige »beschwichtigende« Elemente, die aus heutiger Sicht geradezu schockierend wirken. Interessant ist der Vergleich zwischen Allerleirauh und ihrer französischen Schwester, der Prinzessin Eselshaut. Zwar wird in beiden Fällen dem Vater Absolution erteilt (verwitwet und durch sein Versprechen gebunden — was soll er also tun?), doch gelingt es Eselshaut im Unterschied zu Allerleirauh, sich vom Vater zu lösen. Auch Eselshaut hat drei Zaubermittel, die sie aber einsetzt, um einen anderen Mann zu gewinnen. Allerleirauh dagegen wird zur Mittäterin erklärt: Sie ziert sich zwar anfangs, doch »eigentlich will sie es auch«, zumindest nachdem sie sich ihres sozialen Abstiegs bewusst geworden ist. Die Figur des Vaters wird als ambivalent gezeichnet, wie es nicht selten die Opfer selbst empfinden: Er will sie zu seiner Königin machen und schenkt ihr die schönsten Kleider, doch gleichzeitig macht er sie durch den Tabubruch zu einem Wesen am Rande der menschlichen Gesellschaft (symbolisiert durch den seltsamen Mantel, der sie fast wie ein Tier erscheinen lässt). Der Erniedrigung und der Gewalt durch den Vater fügt das Mädchen ihre Selbsterniedrigung hinzu, indem sie sagt, sie sei zu nichts anderem gut, als dass man ihr die Stiefel an den Kopf wirft (»ich habe nichts anderes verdient«). Und doch will sie im Grunde ihres Herzens schön sein und sucht die Bestätigung hierfür ausgerechnet bei ihrem Vater. Der Erniedrigung folgt die »Erhöhung«, die Ehe mit dem Vater. Kinder brauchen Märchen, aber dieses Märchen will kommentiert sein.

Aljonuschka und Iwanuschka

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Aljonuschka und Iwanuschka

russisches Märchen, enthalten in der Sammlung Narodnye russkie skazki (1855-1863; Russische Volksmärchen) von Alexander Nikolajewitsch Afanassjew. Es ist die russische Variante des bekannten Märchens Brüderchen und Schwesterchen aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm.

Inhalt

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Illustration Iwan Bilibin

Schwesterchen Aljonuschka und Brüderchen Iwanuschka sind Waisen und auf der Wanderung. Iwanuschka hat großen Durst, und als er im Hufabruck einer Kuh Wasser sieht, möchte er davon trinken. Aljonuschka verbietet es ihm, denn wenn er das Wasser trinkt, wird er ein Kälbchen. Später sieht Iwanuschka Wasser im Hufabruck eines Pferds undfragt seine Schwester, ob er diesmal trinken darf. »Nein«, sagt sie, dann dann würde er sich in ein Fohlen verwandeln. Als Iwanuschka kurze Zeit später Wasser im Hufabruck einer Ziege sieht, ist sein Durst so schlimm, dass ohne seine Schwester zu fragen davon trinkt. Aljonuschka sieht plötzlich ein Zicklein vor sich und versteht sofort, was passiert ist. Sie weint um ihren Bruder, denn sie hat nun keine Menschenseele mehr, nur noch das Zicklein.

Ein vorbeikommender Mann, der das schöne Mädchen so traurig sieht, tröstet sie: er würde für sie und ihr Zicklein sorgen, wenn sie ihn heiratet. So geschieht es. Das Paar lebt glücklich zusammen, und auch für das Zicklein ist gesorgt. Damit wecken sie den Neid einer Hexe, die Aljonuschka mit einem Stein um den Hals ins Wasser wirft. Dann legt sie sich anstelle von Aljonuschka ins Bett, ohne das der Schwindel bemerkt wird. Ihre Boshaftigkeit ist aber noch nicht gestillt, solange das Zicklein noch munter im Haus lebt. Deshalb befiehlt sie den Hausangestellten, Feuer unter dem großen Kessel zu machen, um das Zicklein zu kochen. Dies verwundert allerdings den Hausherrn und die Diener sehr, weil doch Alonuschka, für die sie die Hexe halten, immer so sehr an ihrem Zicklein gehangen hat. Das Zicklein bzw. der verzauberte Iwanuschka sagt angesichts der tödlichen Bedrohung ein Verslein auf, mit dem er seiner ermordeten Schwester klagt, was ihm bevorsteht. Aljonuschka, tief unten im Wasser, antwortet mit einem ebenso traurigen Vers, in dem sie klagt, dass sie nicht kommen und ihm helfen kann, weil ein schwerer Stein an ihrem Hals hängt. Dies hören die Diener. Ajonuschka wird befreit, das Zicklein verwandelt sich wieder in Iwanuschka und die Hexe wird verjagt.

Ali Baba und die vierzig Räuber

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Ali Baba und die vierzig Räuber

Die Geschichte von Ali Baba, den vierzig Räubern und dem Berg Sesam ist in den meisten europäischen Ausgaben der orientalischen Märchensammlung Tausendundeine Nacht enthalten, jedoch nicht im arabischen Original. Sie wurde zusammen mit einigen anderen bekannten Geschichten von Antoine Galland, dem ersten europäischen Übersetzer der Sammlung, hinzugefügt. Ob er sie aus anderen Quellen hatte (Galland war Orientalist) oder ob es sich um eine eigene Schöpfung handelt, ist unklar.

Inhalt

Rene Bull

Sesam, öffne dich! Illustration René Bull

Ali Baba verdient seinen Lebensunterhalt, indem er im Wald Holz sammelt und es auf dem Markt verkauft. Das wenige Geld, das er hat, gibt er aus. Auf diese Weise lebt er mit seiner Frau zwar in bescheidenen Verhältnissen, aber glücklich und zufrieden. Ganz anders ist es seinem Bruder Kasim ergangen, der zwar den gleichen Anteil vom väterlichen Vermögen geerbt hat, aber sein Geld geizig zusammenhält ist und außerdem die Tochter eines reichen Kaufmanns geheiratet hat.

Eines Tages sieht Ali Baba beim Holzsammeln in der Ferne eine Horde verwegen aussehender Männer. Da er nicht fliehen kann, klettert er auf einen Baum und versteckt sich im Geäst. Die Horde macht direkt unter Ali Babas Baum halt, und er begreift, dass es sich tatsächlich um Räuber handelt. Ihre Pferde sind schwer mit wertvollen Waren beladen; offenbar haben sie gerade eine Karawane ausgeraubt. Einer der Räuber  — offenbar der Anführer — tritt vor eine Felswand und ruft:

»Sesam, öffne dich!«

Der Berg öfffnet sich und die Räuber gehen mit ihren Schätzen hinein. Ali Baba traut sich nicht von seinem Baum herunter, weil er fürchtet, die Räuber könnten in diesem Moment wiederkommen. Schließlich kommen sie tatsächlich heraus. Der Anführer ruft:

»Sesam, schließe dich!«

woraufhin sich der Berg schließt und die Räuber verschwinden. Ali Baba nimmt seinen Mut zusammen und tritt nun selber vor den Felsen, der sich tatasächlich auf den Spruch hin öffnet, den er den Räubern abgelauscht hat. Im Inneren des Berges findet er Unmengen von wertvollen Waren, Schmuck und Edelsteine. Ali Baba denkt sich, dass es keine Sünde ist, von den gestohlenen Schätzen selbst ein klein wenig zu stehlen, und füllt einen Sack mit Goldstücken, nicht mehr als sein Esel bequem tragen kann.

Zu Hause möchte seine Frau die Goldstücke zählen, um zu wissen wie reich sie nun eigentlich sind. Doch zum Zählen sind es zu viele; deshalb beschließen sie, sich von der Schwägerin eine Waage zu leihen. Die Schwägerin würde zu gern wissen, was die armen Verwandten zu wiegen haben, und die ausweichende Antwort von Ali Babas Frau stachelt ihre Neugier nur noch mehr an. Deshalb bestreicht sie die Waage mit einer Mischung aus Talg und Wachs. Als sie ihre Waage zurückbekommt, haften daran ein paar kleine Goldstücke.

Nun lässt Kasim seinem Bruder Ali Baba keine Ruhe, bis der ihm das Geheimnis anvertraut. Kasim belädt zehn Maulesel mit Kisten und Säcken, um sich selbst an den geraubten Schätzen zu bedienen. Auch ihm öffnet sich der Berg auf den Zauberspruch, und im Inneren weiß er vor Gier gar nicht, wo er zuerst zugreifen soll. Doch zu seinem Unglück hat er vor lauter Aufregung den Namen des Berges vergessen. Er versucht alles Mögliche, wie Simsam, Samson, Sisal … öffne dich!, doch der Berg blieibt verschlossen. Schließlich kommen die Räuber, finden ihn und schlagen ihm den Kopf ab.

Als er nicht nach Hause kommt, macht sich seine Frau große Sorgen. Sie fleht ihren Schwager an, nach Kasim zu suchen. Diese Bitte erfüllt Ali Baba nur zu gern, denn trotz aller Meinungsverschiedenheiten liebt er seinen Bruder. Zu seinem Entsetzen findet er ihn enthauptet in der Räuberhöhle und bringt den Leichnam nach Hause zur Schwägerin. Die ist untröstlich und weist die Sklavin Mardschana(*) an, die Beerdigung vorzubereiten. Doch Marsdschana, die ebenso klug wie schön ist, gibt zu bedenken, dass man den Leichnam, so wie er ist, nicht aufbahren kann, wie es die Sitte will; außerdem würde es Fragen zu den Todesumständen geben. Mit großer List verbreitet sie zunächst das Gerücht, dass Kasim schwer krank ist, um dann seinen, inzwischen allseits erwarteten Tod bekannt zu geben. Außerdem ködert sie einen zwar frommen, aber gleichzeitig geldgierigen Schneider, der dem Leichnam den Kopf annäht, damit sie ihn aufbahren können, wie es sich gehört.

Währenddessen machen sich auch die Räuber ihre Gedanken. Schon als sie Kasim in ihrer Schatzhöhle angetroffen hatten, war ihnen der Verdacht gekommen, dass vielleicht noch jemand anderes von ihrem Versteck weiß. Nachdem der Leichnam verschwunden ist, kann darüber kein Zweifel mehr bestehen. Sie forschen in der Stadt nach, ob jemand etwas von einem enthaupteten Mann gehört hat. Und tatsächlich werden sie beim Schneider, dem »Halsannäher« fündig. Er macht ein Kreidezeichen an die Tür von Ali Babas Familie, doch die umsichtige Mardschana entdeckt es, und kennzeichnet alle Türen in der Umgebung mit dem gleichen Zeichen. Schließlich findet der Räuberhauptmann doch noch heraus, in welchem Haus der Mitwisser wohnt. Er tarnt sich als Kaufmann, der mit Öl handelt und versteckt seine Kumpane in Tonkrügen, mit denen er seine Esel belädt. In diesem Aufzug gelingt es ihm, sich bei dem gastfreundlichen Ali Baba ein Nachtlager zu erschleichen, da angeblich alle Herbergen überfüllt sind. Nachts, so der Plan, würden die Räuber aus den Krügen steigen, und die ganze Familie umbringen. Doch die schlaue Mardschala kommt ihnen auch diesmal auf die Schliche. Sie schüttet, obwohl sie deswegen schwere Gewissensbisse hat, heißes Öl in die Krüge und tötet auf diese Weise einen Räuber nach dem anderen. Nur der Räuberhauptmann entkommt. In anderer Verkleidung kommt er noch einmal in Ali Babas Haus, einen Dolch im Gewand, um ihn und seine Familie zu töten. Doch Mardschana hat ihn diesmal an seiner Stimme erkannt. Sie bittet darum, zur Unterhaltung der Familie und des heimtückischen Gastes tanzen zu dürfen. Niemand ahnt, dass sie ebenfalls einen Dolch unter ihren Schleiern trägt, und als sich der Bösewicht von hinten Ali Baba nähert, stößt sie ihm den Dolch in die Brust. Im ersten Moment sind alle entsetzt, doch dann begreifen sie, dass der Gast niemand anderes als der Räuberhauptmann ist. Ali Baba schenkt der schönen Sklavin die Freiheit und verheiratet sie nmit seinem Vetter.

(*) In anderen Übersetzungen heißt die Sklavin Morgiana, also ähnlich wie die Fee Morgana.


Alexander Afanasjew: Russische Volksmärchen

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Alexander Afanasjew: Russische Volksmärchen

Alexander Nikolajewitsch Afanasjew (russ. Афанасьев; Translit. auch Afanassjew, Afanasev) wurde am 23. Juli 1826 in Bogutschar, Oblast Woronesch, geboren und starb am 5. Oktober 1871 in Moskau. Als Sammler und Herausgeber russischer Volksmärchen (»Narodnye russkie skazkie«, herausgegeben in 8 Bänden, 1855 bis 1863 in Moskau) gilt er heute als der »russische Grimm«; seine Sammlung übertrifft im Umfang die der Grimms (je nach Zählweise 200 bis über 600 Märchen) wie auch alle anderen europäischen Märchensammlung, die im 19. Jahrhundert nach dem Vorbild der deutschen Brüder zusammengetragen wurden.

Die schöne Wassilissa vorm Haus der Hexe Baba Jaga. Illustration von Iwan Bilibin (1901)

Im Vergleich zu den Grimms war Afanasjew stärker Sammler denn Bearbeiter. Er fand sein Material im Archiv der Russischen Geografischen Gesellschaft sowie in bereits bestehenden Sammlungen anderer Märchensammler und griff nur zurückhaltend in die Texte ein. Aus dieser Vorgehensweise folgt ein typisches Merkmal der russischen Märchensammlung, nämlich die im Vergleich zu der Grimmschen Sammlung kaum erkennbare »Kanonisierung«: unterschiedliche Varianten eines Märchen(motiv)s stehen nebeneinander, auf eine Reduktion auf »die eine«, repräsentative Variante hat Afanasjew verzichtet. Unterschiedliche Übersetzungen und unterschiedliche Zusammenstellungen für deutschsprachige Ausgaben haben das ihre dazu beigetragen, dass wir (die deutschsprachigen Märchenhörer und -leser) von den russischen Volksmärchen (also von der Sammlung  Afanasjews) das Bild einer zusammenhängenden Märchenlandschaft haben, das wir nicht so leicht in einzelne Märchen auflösen können. Fragt man einen Deutschen nach einem typischen russischen Märchen, wird man als Antwort etwa »die Hexe Baba Jaga« oder »die schöne Wassilissa« hören, also die Namen von Figuren, die inklusive ihrer ganz eigenen Ausstattung in etlichen Märchen vorkommen. So kennt bestimmt jeder, der sich ein wenig für Märchen interessiert, das auf Hühnerbeinen stehende, drehbare Häuschen der Hexe Baba Jaga, aber DAS Märchen von der Hexe Baba Jaga gibt es nicht.

Die vorsichtige Textbehandlung durch Afanasjew war vor allem von der Idee geleitet, dass Märchen erzählte Geschichten sind. Während also die Grimms mit ihrer Bearbeitung aus den mündlich überlieferten Märchenstoffen »Literatur machten«, nahm Afanasjew ganz im Gegenteil gerade dann Korrekturen vor, wenn ihm die Vorlage »literarisiert« erschien. Oft begegnet uns in den russischen Märchen der Erzähler (in den bekannten sowjetischen Märchenfilmen meist eine rundliche Erzählerin), der sich »ich« nennt und uns »ihr«. Eine meist deftige Sprache, zahlreiche Sprüche, Reime, wiederholte, formelhafte Redewendungen und Dialoge geben den Texten einen Klang, der lebendiges Erzählen auch beim Lesen vorstellbar macht.

Die bekanntesten russischen Volksmärchen sind Zaubermärchen mit einer Reihe wiederkehrender Figuren. Neben der schon erwähnten Baba Jaga sind dies u.a der böse Koschtschei, der Feuervogel, das dem Helden dienliche Zauberpferd und natürlich Wassilissa, die Wunderkluge. Wenn es etwas gibt, das »typisch russisch« an den russischen Volksmärchen ist, dann dürfte es dieses Ensemble von Figuren sein. Neben dem Zaubermärchen nehmen Tiermärchen einen besonders breiten Raum ein, wobei Fuchs (bzw. Füchsin), Bär und Wolf wiederkehrende Figuren mit bestimmten Eigenschaften sind. Teilweise erinnern diese Märchen an Tierfabeln, doch geht ihnen meist der für jene typische belehrende Charakter ab (zumindest in der dort üblichen Strenge).

Russische Märchen auf Märchenatlas:

 

Aarne-Thompson-Index

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Aarne-Thompson-Index

Der Aarne-Thompson-Index ist ein Klassifikationssystem für Märchen und Schwänke, das in der internationalen Erzählforschung für Identifizierung von Märchentypen und -motiven eingesetzt wird, was einen Vergleich und die Aufdeckung von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen Erzähltraditionen ermöglicht. Er ist benannt nach Antti Aarne (1867–1925) und Stith Thompson (1885–1976). Der Finne Aarne veröffentlichte 1910 die erste Version unter dem Titel Verzeichnis der Märchentypen. Sie basiert auf finnischen Sammlungen, auf den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm sowie auf der dänischen Sammlung von Svend Grundtvig. 1927 entwickelte der US-Amerikaner Thompson die erste Erweiterung dieses Systems. Eine zweite Überarbeitung veröffentlichte er 1961. Darin sind die verschiedenen Märchentypen und -motive in Gruppen gegliedert, die nach einem Zifferncode angeordnet sind. Die Bezeichnung einer Kategorie heißt dann z.B. »AaTh 310 <Kategoriename>«, wobei AaTh für Aarne und Thompson steht. Der Kategoriename ist entweder das zentrale Motiv des Märchens (wie beispielsweise die »magische Flucht« oder die »Suche nach dem verlorenen Ehemann«) oder der Name eines typischen Vertreters dieses Märchentyps (nicht immer einheitlich). Manchmal wird nach der letzten Ziffer ein Buchstabe angefügt, um noch weiter differenzieren zu können. Diese Verfahrensweise ist einer allgemeinen Eigenschaft derartiger Klassifikationssysteme geschuldet, die auch im Zusammenhang mit dem Aarne-Thompson-Index als problematisch kritisiert wurde, nämlich der, dass ihre Erweiterung nur beschränkt möglich ist. Die Hauptkritik bezieht sich jedoch auf die (durch die Entstehungsgeschichte bedingte) Fokussierung auf die europäische Erzähltradition. Auch wurde angemerkt, dass die Kategorisierung der Märchen nicht zwangsläufig ihre “Verwandtschaftsbeziehungen” widerspiegelt, denn da sich das System an Motiven orientiert, kann es einerseits vorkommen, dass zwei Märchen anhand des zur Klassifikation herangezogenen Motivs als ähnlich gelten (es aber insgesamt nicht sind); andererseits kann es sein, dass ähnliche Erzählungen in weit voneinander entfernten Kategorien des Baumes einsortiert werden. Ungeachtet dieser Einschränkungen (die in ähnlicher Form für jede historisch gewachsene Klassifikation gelten) hat sich der Aarne-Thompson-Index für die Erzählforscher als überaus nützlich erwiesen. Im Jahr 2004 wurde von dem deutschen Märchenforscher Hans-Jörg Uther eine dritte Erweiterung vorgenommen, um insbesondere die Einordnung nichteuropäischer Märchen zu ermöglichen. Als Abkürzung weit seither oft ATU (für Aaarne, Thompson, Uther) anstelle von AaTh verwendet.

Die ursprüngliche, grobe Einteilung nach Aarne sieht folgendermaßen aus:

  • Tiermärchen (Animal Tales)
  • Zaubermärchen (Fairy Tales)
  • Legendenartige Märchen (Religious Tales)
  • Novellenartige Märchen (Romantic Tales)
  • Märchen vom dummen Teufel/Riesen (Tales of the Stupid Ogre)
  • Schwänke (Jokes and Anecdotes)

Um eine Vorstellung vom feineren Aufbau des Index zu geben, seien im Folgenden die Nummern und Bezeichnungen der Kategoriegruppen für die Zaubermärchen sowie einige Beispiele für die legendenartigen und  romanartigen Märchen angegeben.

300 bis 749: Zaubermärchen

mit den Untergruppen

300 bis 399: Übernatürliche Gegenspieler

Diese Gruppe enthält neben vielen anderen die Märchen

400 bis 459: Übernatürliche oder verzauberte Verwandte

Diese Gruppe ist weiter untergliedert in

460 bis 499: Übernatürliche Aufgaben

Beispiele aus dieser Gruppe sind

500 bis 559: Übernatürliche Helfer

Beispiele aus dieser Gruppe sind

 560 bis 649: Magische Gegenstände

Hier u.a. Der süße Brei (Brüder Grimm) und Die Mühle auf dem Meeresgrund (Norwegen), beide ATU 565, sowie Tischlein deck dich.

650 bis 699: Übernatürliche Kraft oder Wissen

Zum Beispiel Die drei Sprachen (ATU 671), Simeliberg (Ali Baba und die vierzig Räuber, ATU 676), Die Nelke, Der starke Hans.

700 bis 749: Andere Geschichten vom Übernatürlichen

Hier u.a. Marienkind, Das Mädchen ohne Hände, Schneewittchen.

750 bis 849: Legendenartige Märchen

Hierzu gehören u.a. Märchen vom belohnenden und strafenden Gott (z.B. Der Schneider im Himmel, Die Sterntaler) und vom Pakt mit dem Teufel (z.B. Der Schmied von Jüterbog),

850 bis 999: Novellenartige Märchen

Zum Beispiel König Drosselbart, Die kluge Bauerntochter, Griseldis, Die klare Sonne bringt’s an den Tag.

 

Aladdin und die Wunderlampe

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Aladdin und die Wunderlampe

Die Geschichte von Aladdin und der Wunderlampe ist in den meisten europäischen Ausgaben der orientalischen Märchensammlung Tausendundeine Nacht enthalten, jedoch nicht im arabischen Original. Sie wurde zusammen mit einigen anderen bekannten Geschichten von Antoine Galland, dem ersten europäischen Übersetzer der Sammlung, hinzugefügt. Ob er sie aus anderen Quellen hatte (Galland war Orientalist) oder ob es sich um eine eigene Schöpfung handelt, ist unklar. Neben Sindbad und Ali Baba gehört Aladdin zu den populärsten orientalischen Märchenfiguren, wozu nicht zuletzt die äußerst erfolgreiche Disney-Verfilmung (1992) beigetragen hat.

Inhalt

Aladdin und die Wunderlampe,Tausendundeine Nacht, Illustrationen Walter Crane

Aladdin und die Wunderlampe, Illustration Walter Crane

Aladdin ist der einzige Sohn eines armen Schneiders und lebt mit seinen Eltern in einer Stadt in China. Auch mit 15 Jahren hat er nichts anderes im Kopf, als mit jüngeren Kindern zu spielen, sich herumzutreiben und Unsinn anzustellen. Weder mag von seinem Vater das Schneiderhandwerk lernen, noch steht ihm der Sinn nach einem anderen ehrbaren Handwerk. Darüber grämt sich sein Vater so sehr, dass er stirbt. Nun muss die Mutter allein als Spinnerin für beider Lebensunterhalt sorgen, denn Aladdin bleibt seinem liederlichen Lebenswandel treu. Eines Tages begnet er einem aus Nordafrika stammenden Magier, der behauptet, Aladdins längst tot geglaubter Onkel zu sein. Er schmeichelt sich bei Aladdin und dessen Mutter unter anderem damit ein, dass er verspricht, aus Aladdin einen Kaufmann zu machen. Kaufmann zu werden gefällt Aladdin wesentlich besser als jedes Handwerk, und so folgt er seinem vermeintlichen Onkel vertrauensvoll, als er ihn auf einem langen Spaziergang vor die Tore der Stadt führt.

Dort bittet der maurische Magier Aladdin, etwas Reisig aufzuhäufen und macht ein Feuer. Dazu murmelt er allerlei Zaubersprüche, bis sich die Erde öffnet und ein großer Stein sichtbar wird. Der Stein verdeckt den Eingang zu einer Höhle, in der, wie der Zauberer sagt, ein Schatz verborgen ist. Aladdin soll nichts weiter tun, als unter genauer Befolgung der Anweisungen des Zauberers eine Öllampe für ihn zu holen. Zur Sicherheit gibt der Zauberer ihm einen Siegelring mit, der ihm bei Gefahr helfen soll. Aladdin findet die Lampe genau an der beschriebenen Stelle und steckt sie in sein Hemd. Auf dem Rückweg stopft er zwischen Lampe und Hemd einige von den herrlich funkelnden und ihm gänzlich unbekannten Früchten, die an den Bäumen wachsen — ohne zu wissen, dass es sich um Edelsteine handelt. Als er wieder durch den Einstieg nach oben steigen will, verlangt der Magier zuerst die Lampe. Doch Aladdin kann nicht an die Lampe kommen, weil die Glitzersteine darüber liegen. Der Magier, dessen Sinnen und Trachten auf nichts anderes als die Lampe gerichtet ist, glaubt, Aladdin wolle ihn betrügen. Wütend schiebt er den Stein über das Einstiegsloch und entschwindet in seine ferne Heimat. So ist Aladdin in der Höhle eingesperrt und meint, sein Ende sei gekommen. Am dritten Tag ruft er Allah, den Allmächtigen an, und dreht dabei den Ring des Magiers. Daraufhin erschein ein Dschinni, der »Diener des Rings«, und fragt nach seinen Wünschen. So kann Aladdin aus der Höhle entkommen und zu seiner Mutter eilen, die ihn schon tot glaubte.

Nachdem sich der Magier und angebliche Onkel als Betrüger erwiesen hat, überlegen Mutter und Sohn, wie sie zu etwas Geld kommen könnten. Sie beschließen, die Lampe zu verkaufen, die anscheinend doch von einigem Wert sein muss. Als die Mutter an der Lampe reibt, um sie zu putzen, erscheint ein weiterer Dschinni, der »Diener Lampe«, und fragt sie nach ihren Wünschen. Sie wünscht sich nichts weiter als ein gutes Essen für sich und ihren Sohn. Daraufhin erscheinen die herrlichsten Speisen samt edlem Geschirr. Später verkaufen die beiden nach und nach Teile des Geschirrs und können vom Gewinn lange Zeit gut leben. Außerdem wissen sie nun, dass sie jederzeit die Dienste des Dschinnis in Anspruch nehmen können, machen davon aber nur sparsam Gebrauch, um nicht den Neid und das Misstrauen der Nachbarn zu erregen. Aladdin wird auf diese Weise allmählich zum geschickten Händler, der den Wert verschiedener Waren richtig einschätzen kann. Bald weiß er auch, dass die aus der Höhle mitgebrachten »Früchte« wertvolle Edelsteine sind.

Eines Tages werden alle Einwohner der Stadt angewiesen (unter Androhung der Todesstrafe) in ihren Häusern zu bleiben, weil die Tochter des Sultans unverschleiert zum Bad gehen will. Aladdin erhascht einen Blick auf die Schöne und verliebt sich unsterblich. Die Mutter soll beim Sultan für ihn werben, was Dank der unvergleichlichen Edelsteine Erfolg verspricht. Doch der Wesir des Sultans intrigiert, um seinen eigenen Sohn zum Schwiegersohn des Sultans zu machen. Während Aladdin geduldig die verabredete Frist bis zur Hochzeit abwartet, wird plötzlich die Vermählung der Prinzessin mit dem Nebenbuhler verkündet. Aladdin befiehlt dem Geist der Lampe, das Brautbett samt Braut und Bräutigam zu entführen, sobald sich beide niedergelegt haben. So kann die Ehe nicht vollzogen werden; der Nebenbuhler muss in der Kälte auf dem Abort schlafen, während sich Aladdin ins Bett zur Braut legt, jedoch mit einem Schwert dazwischen. Die Prinzessin ist nach dieser Hochzeitsnacht völlig verstört, und als die zweite Nacht ähnlich verstörend verläuft, löst der Sultan die Ehe seiner Tochter mit dem Sohn des Wesirs. Aladdins Mutter bringt ihren Sohn erneut ins Spiel. Zwar muss er eine Reihe von Proben bestehen, bevor er die Prinzessin heiraten darf, doch dank des Dschinnis in der Lampe ist das für ihn kein Problem. So heiratet Aladdin schließlich doch seine Angebete und wird, da er sich stets gegenüber den Armen großzügig zeigt, zu einem beliebten Herrscher. Für seine Prinzessin lässt er über Nacht ein herrliches Schloss errichten.

Aladdin und die Wunderlampe, Tausendundeine Nacht, Illustrationen Arthur Rackham

Aladdin und die Wunderlampe, Illustration Arthur Rackham

Der maurische Zauberer wähnte Aladdin längst tot, da in der Höhle verhungert. Doch seine Zauberkünste verraten ihm, dass er wider Erwarten noch lebt und wo sich die magische Lampe befindet. Als Lampenhändler erscheint er bei Aladdins Gemahlin. Mit dem Angebot, alte Lampen gegen neue zu tauschen, gelingt es ihm, ihr die Zauberlampe abzuluchsen. Dadurch gewinnt er unerhörte Macht, die er dazu nutzt, das Schloss mitsamt Prinzessin in seine maurische Heimat zu versetzen. Der Sultan ist über den Verlust seiner Tochter so erzürnt, dass er Aladdin hinrichten lassen will, doch da dieser beim Volk zu beliebt ist, gewährt er ihm eine Frist, in der er die Prinzessin wieder herbeischaffen soll. Zum Glück hat Aladdin noch den Ring seines Widersachers, dessen Dschinni zwar nicht so mächtig ist wie der Lampen-Dschinni, doch mit List und der Hilfe seiner Prinzessin kann das Paar den Zauberer austricksen. Das Schloss kommt wieder an seinen alten Platz und der Zauberer wird hingerichtet. Noch einmal droht dem Paar Gefahr, denn der Bruder des Zauberers will Rache an ihnen nehmen und sie ermorden. Als fromme Frau verkleidet verschafft er sich Zutritt zum Schloss, doch erkennt der Dschinni der Lampe an einer unbedachten Äußerung die Maskerade. Der Dolch, den der Bösewicht unter dem Gewand trägt, kehrt sich gegen ihn selbst. Fortan lebt Aladdin mit seiner Prinzessin unbehelligt als gerechter und vom Volk geliebter Herrscher.

 

Jack der Riesentöter

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Jack der Riesentöter

Jack der Riesentöter ist ein britischer Märchenheld, dessen Abenteuer vage mit der Artus-Erzählung verknüpft sind. Die Geschichte besteht aus einer Aneinanderreihung von nicht enger miteinander verbundenen Episoden vom Typ »David gegen Goliath«, in denen Jack auf die eine oder andere Weise einen oder mehrere Riesen zur Strecke bringt. Manches erinnert dabei an das tapfere Schneiderlein aus dem Grimm’schen Märchen, das es auch mit Riesen aufnimmt. Die ansonsten für Märchen typische Entwicklung des Märchenhelden fehlt — ähnlich wie die Kunststücke des Meisterdiebes sind Jacks Heldentaten l’art pour l’art, motiviert vor allem durch Jacks Pflichtgefühl gegenüber König Artus, wozu selbstverständlich gehört, edle Damen und Ritter aus den Klauen von Riesen zu befreien.

Jack und der Riesentöter. Illustration Arthur Rackham

Jack und der Riesentöter. Illustration Arthur Rackham

Jack ist der Sohn eines reichen Bauern und schon früh durch seinen wachen Verstand positiv aufgefallen. Seine Karriere als Riesentöter beginnt, als das Bergland von Cornwall von dem Riesen Cormoran beherrscht wird, der die Menschen in den umliegenden Dörfern und Städten in Angst und Schrecken versetzt. Er ernährt sich von deren Vieh, und das reichlich — mühelos lädt er sich ein halbes Dutzend Ochsen auf den Rücken, während Schweine und Schafe an seinem Gürtel baumeln. Nachdem er einige Jahre lang sein Unwesen getrieben hat, ist Cornwall verständlicherweise verarmt. Die Richter haben den Schatz des Riesen als Belohnung ausgesetzt, für denjenigen, der Cornwall von dem Riesen befreit. Als Jack davon hört, erklärt er sich bereit; bewaffnet mit einem Spaten, einer Spitzhacke und einem Horn rückt er dem Riesen zu Leibe. Zunächst gräbt er am Fuß des Berges, auf dem der Riese lebt, eine gewaltige Grube, die er mit Stöcken, Stroh und etwas Erde abdeckt. Dann bläst er auf dem Horn, wodurch sich der Riese erwartungsgemäß gestört fühlt. Wütend kommt er auf Jack zugerannt, um ihn sich als Frühstück einzuverleiben. Doch daraus wird nichts; der Riese fällt in die Grube, wo ihm Jack mit der Spitzhacke den Schädel einschlägt. Dann holt er sich aus der Höhle des Riesen den ihm zustehenden Schatz.

Außerdem darf er sich von nun an Riesentöter nennen, und er bekommt von den Honoratioren einen Gürtel, auf dem mit Goldfaden gestickt steht, dass er derjenige ist, welcher den Riesen Cormoran getötet hat. Sein Ruhm wird Jack fast zum Verhängnis, weil auch der Riese Blunderbore davon erfährt. Als Jack ein paar Wochen später auf seinem Weg nach Wales in die Nähe des Zauberschlosses kommt, in dem der Riese haust, wird er von diesem geschnappt und eingesperrt. Die vielen Menschenknochen auf dem Boden verheißen nichts Gutes, doch es gibt einen kleinen Aufschub, weil der Riese erst noch seinen Bruder holen will, um sich mit ihm das Früchtchen zu teilen. Als die beiden unten zum Schlosstor herein kommen, wirft Jack von oben jedem eine Schlinge über den Kopf, führt das andere Ende über einen Balken und zieht kräftig, sodass ihnen die Luft knapp wird und sie sich nicht wehren können. Den Rest besorgt er mit dem Schwert. Anschließend befreit er noch drei von dem Riesen gefangen gehaltene Damen.

In Wales trifft er auf einen Riesen mit zwei Köpfen, der freundlicher zu sein scheint, als die drei mit denen er zuvor Bekanntschaft geschlossen hat. Er lässt Jack, der dringend ein Nachtlager braucht, in seinem Haus schlafen. Jedoch, wie Jack gerade noch rechtzeitig erfährt, in der Absicht, ihn um Mitternacht im Bett zu erschlagen. Jack legt einen Holzscheit ins Bett und versteckt sich in einer Ecke. Der Riese merkt nicht, dass er auf einen Holzscheit einschlägt, und am Morgen erscheint Jack zu dessen Verblüffung frisch und munter beim Frühstück. Als der Riese ihm eine riesige Portion Mehlbrei vorsetzt, will er sich keine Blöße geben und schüttet den Brei deshalb in einen Beutel, den er unter seinem Mantel versteckt. Dann erledigt er den Riesen (Nr. 4) mit folgendem Trick: er sticht mit einem Masser in seinen Bauch, sodass der Mehlbrei herausquillt. Nun ist es der Riese, der sich keine Blöße geben will: diesen Trick kenne er schon lange, meint er, sticht sich das Messer in den Bauch und fällt tot um.

Nach diesem Abenteuer tritt Jack in den Dienst von König Artus‘ Sohn. Der hat ein Problem mit seiner Braut, die von bösen Geistern und gar von Luzifer selbst besessen ist. Jack hilft dem Prinzen, die Braut aus Luzifers Klauen zu befreien, indem er einem dreiköpfigen Riesen (der seltsamerweise sein Onkel ist) vier Zaubergegenstände abluchst: einen Tarnumhang, die Kappe der Weisheit, ein Zauberschwert und ein Paar extraschnelle Schuhe. Für diese Heldentat wird Jack zum Ritter der Tafelrunde geschlagen. Der denkt nicht daran, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen, zumal in England und Wales immer noch Riesen ihr Unwesen treiben. So tötet er drei weitere Riesen — den Waldriesen, den Riesen Thundernell und den Riesen Galligantus — und befreit unzählige Ritter und Damen. Schließlich, nachdem das Land endlich riesenfrei ist, vermählt in König Artus mit der Tochter eines Herzogs und schenkt ihm einen schönen Landgut. So lebt Jack zufrieden und glücklich mit seiner Dame, aber ohne Riesen.

Anne Anderson

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Anne Anderson

Anne Anderson (*1874, †1930) war eine schottische Illustratorin, hauptsächlich von Kinderbüchern.

 

Im Märchenatlas werden in folgenden Artikeln Bilder von Anderson gezeigt:

The Little Match Girl

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

Grimms Märchen

Hans Christian Andersen

Sonstige

Alle Märchen von A bis Z

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Märchen von A bis Z

Die folgende Tabelle listet alle Märchen auf, die derzeit auf Märchenatlas vorgestellt werden. In der zweiten Spalte ist jeweils eine grobe geografische Zuordnung oder der Name der Sammlung, des Sammlers bzw. des Autors (bei Kunstmärchen) genannt.

(Wir bitten um Entschuldigung: Aufgrund eines technischen Defekts ist die beliebte, komfortable Tabelle derzeit leider nicht verfügbar. Bitte nutzen Sie bis zur Behebung des Fehlers die folgende, einfache Tabelle.)

Märchentitel Sammlung / Herkunft
Aladdin und die Wunderlampe Tausendundeine Nacht
Ali Baba und die vierzig Räuber Tausendundeine Nacht
Aljonuschka und Iwanuschka Alexander Afanassjew (Russland)
Allerleirauh Brüder Grimm
Amor und Psyche Apuleius
Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand Josef Haltrich (Siebenbürgen)
Aschenputtel Brüder Grimm
Aschenpüster mit der Wünschelgerte Ludwig Bechstein
Bertha mit den großen Füßen Französische Märchen
Bisclavret Französische Märchen
Brüderchen und Schwesterchen Brüder Grimm
Bruder Lustig Brüder Grimm
Cannetella Giambattista Basile (Italien)
Cendrillon Charles Perrault (Frankreich)
Corvetto Giambattista Basile (Italien)
Das blaue Licht Brüder Grimm
Das Bürle Brüder Grimm
Das Ebenholzpferd Tausendundeine Nacht
Das Eselein Brüder Grimm
Das Feuerzeug Hans Christian Andersen
Das fremde Kind E.T.A. Hoffmann
Das hässliche Entlein Hans Christian Andersen
Das kalte Herz Wilhelm Hauff
Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen Hans Christian Andersen
Das kluge Gretel Brüder Grimm
Das Lumpengesindel Brüder Grimm
Das Mädchen ohne Hände Brüder Grimm
Das Märchen von dem Myrtenfräulein Clemens Brentano
Das Märchen von dem Witzenspitzel Clemens Brentano
Das Märchen von Rosenblättchen Clemens Brentano
Das Meerhäschen Josef Haltrich (Siebenbürgen)
Das singende, springende Löweneckerchen Brüder Grimm
Das Soria-Moria-Schloss Asbornsen, Moe (Norwegen)
Das tapfere Schneiderlein Brüder Grimm
Das Waldhaus Brüder Grimm
Das Wasser des Lebens Brüder Grimm
Das Ziegengesicht Giambattista Basile (Italien)
Däumelinchen Hans Christian Andersen
Daumerlings Wanderschaft Brüder Grimm
Daumesdick Brüder Grimm
De drei Vügelkens Brüder Grimm
Der alte Großvater und sein Enkel Brüder Grimm
Der alte Hildebrand Brüder Grimm
Der alte Sultan Brüder Grimm
Der arme Müllersbursch und das Kätzchen Brüder Grimm
Der Arme und der Reiche Brüder Grimm
Der Bärenhäuter Brüder Grimm
Der Bauer und der Teufel Brüder Grimm
Der betrogene Ifrit Tausendundeine Nacht
Der Biedermann Elend und sein Hund Armut Französische Märchen
Der blaue Vogel Marie-Catherine d’Aulnoy (Frankreich)
Der blonde Eckbert Ludwig Tieck
Der Dummling Giambattista Basile (Italien)
Der Eisbär König Valemon Asbornsen, Moe (Norwegen)
Der Eisenhans Brüder Grimm
Der Eisenofen Brüder Grimm
Der Fischer und seine Seele Oscar Wilde
Der Floh Giambattista Basile (Italien)
Der Frieder und das Katherlieschen Brüder Grimm
Der Frost Alexander Afanassjew (Russland)
Der Geist im Glas Brüder Grimm
Der gelbe Zwerg Marie-Catherine d’Aulnoy (Frankreich)
Der gescheite Hans Brüder Grimm
Der gestiefelte Kater Brüder Grimm
Der Glückliche Prinz Oscar Wilde
Der goldene Vogel Brüder Grimm
Der goldne Topf E.T.A. Hoffmann
Der gute Handel Brüder Grimm
Der Hahnenstein Giambattista Basile (Italien)
Der Heidelbeerzweig Giambattista Basile (Italien)
Der Hund und der Sperling Brüder Grimm
Der Jude im Dorn Brüder Grimm
Der Junge, der vom Nordwind das Mehl zurückhaben wollte Asbornsen, Moe (Norwegen)
Der Kaufmann Giambattista Basile (Italien)
Der kleine Däumling Charles Perrault (Frankreich)
Der kleine Klaus und der große Klaus Hans Christian Andersen
Der kleine Sackpfeifer Thomas Crofton-Croker (Irland)
Der Knoblauchgarten Giambattista Basile (Italien)
Der König vom goldenen Berg Brüder Grimm
Der Liebste Roland Brüder Grimm
Der Meisterdieb Straparola (Italien)
Der Müller und die Nixe Brüder Grimm
Der Orangenbaum und die Biene Marie-Catherine d’Aulnoy (Frankreich)
Der Rabe Giambattista Basile (Italien)
Der Räuberbräutigamm Brüder Grimm
Der Runenberg Ludwig Tieck
Der Schatten Hans Christian Andersen
Der Schmied von Jüterbog Ludwig Bechstein
Der Schneider im Himmel Brüder Grimm
Der Schweinehirt Hans Christian Andersen
Der standhafte Zinnsoldat Hans Christian Andersen
Der starke Hans Brüder Grimm
Der süße Brei Brüder Grimm
Der Tannenbaum Hans Christian Andersen
Der Teufel mit den drei goldenen Haaren Brüder Grimm
Der Teufel und seine Großmutter Brüder Grimm
Der treue Johannes Brüder Grimm
Der Trommler Brüder Grimm
Der Vogel Greif Brüder Grimm
Der Wolf und der Fuchs Brüder Grimm
Der Wolf und der Mensch Brüder Grimm
Der Wolf und die sieben Geißlein Brüder Grimm
Der Zaunkönig Brüder Grimm
Der Zaunkönig und der Bär Brüder Grimm
Des Kaisers neue Kleider Hans Christian Andersen
Des Teufels rußiger Bruder Brüder Grimm
Die Alte im Wald Brüder Grimm
Die Aschenkatze Giambattista Basile (Italien)
Die Bärin Giambattista Basile (Italien)
Die bedeutsame Rakete Oscar Wilde
Die beiden Königskinder Brüder Grimm
Die beiden Kuchen Giambattista Basile (Italien)
Die beiden Wanderer Brüder Grimm
Die beiden Wesire… Tausendundeine Nacht
Die bezauberte Hirschkuh Giambattista Basile (Italien)
Die Bienenkönigin Brüder Grimm
Die Bremer Stadtmusikanten Brüder Grimm
Die Bücher der Chronika der drei Schwestern J.K.A. Musäus
Die dankbaren Tiere Giovanni Francesco Straparola (Italien)
Die drei Brüder Brüder Grimm
Die drei Federn Brüder Grimm
Die drei Glückskinder Brüder Grimm
Die drei kleinen Schweinchen England
Die drei kleinen Männlein im Walde Brüder Grimm
Die drei Prinzessinnen aus Witenland Asbornsen, Moe (Norwegen)
Die drei Spinnerinnen Brüder Grimm
Die drei Sprachen Brüder Grimm
Die drei Tierbrüder Giambattista Basile (Italien)
Die drei Zitronen Giambattista Basile (Italien)
Die entdeckte Alte Giambattista Basile (Italien)
Die Eule Brüder Grimm
Die Feder von Finist, dem hellen Falken Alexander Afanassjew (Russland)
Die Flasche Thomas Crofton-Croker (Irland)
Die Froschprinzessin Alexander Afanassjew (Russland)
Die Galoschen des Glücks Hans Christian Andersen
Die Gans Giambattista Basile (Italien)
Die Gänsehirtin am Brunnen Brüder Grimm
Die Gänsemagd Brüder Grimm
Die Geschenke des kleinen Volkes Brüder Grimm
Die Geschichte vom Gespensterschiff Wilhelm Hauff
Die Geschichte von dem kleinen Muck Wilhelm Hauff
Die Geschichte von dem Fischer und dem Dschinni Tausendundeine Nacht
Die goldene Gans Brüder Grimm
Die goldene Wurzel Giambattista Basile (Italien)
Die Goldkinder Brüder Grimm
Die guten Tage Giovanni Francesco Straparola (Italien)
Die Jungfrau auf dem Glasberg Asbornsen, Moe (Norwegen)
Die klare Sonne bringts an Tag Brüder Grimm
Die kleine Seejungfrau Hans Christian Andersen
Die kluge Bauerntochter Brüder Grimm
Die kluge Else Brüder Grimm
Die klugen Leute Brüder Grimm
Die Königstochter in der Flammenburg Josef Haltrich (Siebenbürgen)
Die Krähen Brüder Grimm
Die Küchenmagd Giambattista Basile (Italien)
Die lächerlichen Wünsche Charles Perrault (Frankreich)
Die Lebenszeit Brüder Grimm
Die Mahlzeit des Geistlichen Thomas Crofton-Croker (Irland)
Die Manekine Französische Märchen
Die Monate Giambattista Basile (Italien)
Die Mühle auf dem Meeresgrund Asbornsen, Moe (Norwegen)
Die Nachtigall und die Rose Oscar Wilde
Die Nelke Brüder Grimm
Die Nymphe des Brunnens J.K.A. Musäus
Die Prinzessin auf der Erbse Hans Christian Andersen
Die Regentrude Theodor Storm
Die Sage vom Hirschgulden Wilhelm Hauff
Die Schlange Giambattista Basile (Italien)
Die Schneekönigin Hans Christian Andersen
Die Schöne und das Biest Französische Märchen
Die sechs Diener Brüder Grimm
Die sechs Schwäne Brüder Grimm
Die sieben Raben Brüder Grimm
Die sieben Schwaben Brüder Grimm
Die sieben Schwarten Giambattista Basile (Italien)
Die sieben Tauben Giambattista Basile (Italien)
Die Sterntaler Brüder Grimm
Die Taube Giambattista Basile (Italien)
Die vier kunstreichen Brüder Brüder Grimm
Die wahre Braut Brüder Grimm
Die weiße Ente Alexander Afanassjew (Russland)
Die weiße Katze Marie-Catherine d’Aulnoy (Frankreich)
Die weiße Schlange Brüder Grimm
Die Wichtelmänner Brüder Grimm
Die wilden Schwäne Hans Christian Andersen
Die zertanzten Schuhe Brüder Grimm
Die zwei Brüder Brüder Grimm
Die zwölf Brüder Brüder Grimm
Die zwöf Jäger Brüder Grimm
Doktor Allwissend Brüder Grimm
Dornröschen Brüder Grimm
Dumme Männer und närrische Weiber Asbornsen, Moe (Norwegen)
Östlich der Sonne und westlich vom Mond Asbornsen, Moe (Norwegen)
Einäuglein, Zweiäuglein, Dreiäuglein Brüder Grimm
Eselshaut Charles Perrault (Frankreich)
Fingerhütchen Thomas Crofton-Croker (Irland)
Fitchers Vogel Brüder Grimm
Frau Holle Brüder Grimm
Froschkönig oder Der eiserne Heinrich Brüder Grimm
Fundevogel Brüder Grimm
Gagliuso Giambattista Basile (Italien)
Gevatter Tod Brüder Grimm
Guerrino und der Waldmensch Giovanni Francesco Straparola (Italien)
Hänsel und Gretel Brüder Grimm
Hans im Glück Brüder Grimm
Hans mein Igel Brüder Grimm
Hase und Igel Brüder Grimm
Häsichenbraut Brüder Grimm
Herr Korbes Brüder Grimm
Herr und Diener Thomas Crofton-Croker (Irland)
Iwan Zarewitsch, der Feuervogel und der graue Wolf Alexander Afanassjew (Russland)
Jack der Riesentöter England
Jack und die Bohnenranke England
Jorinde und Joringel Brüder Grimm
Jungfrau Maleen Brüder Grimm
Kalif Storch Wilhelm Hauff
Klein Zaches genannt Zinnober Brüder Grimm
König Drosselbart Brüder Grimm
König Schwein Giovanni Francesco Straparola (Italien)
La belle au bois dormant Charles Perrault (Frankreich)
Legenden von Rübezahl J.K.A. Musäus
Le petit chaperon rouge Charles Perrault (Frankreich)
Les Fees Charles Perrault (Frankreich)
Marienkind Brüder Grimm
Melusine Sagen des Mittelalters
Nennillo und Nennella Giambattista Basile (Italien)
Nußknacker und Mausekönig E.T.A. Hoffmann
Parthonopeus und Meliur Französische Märchen
Pervonto Giambattista Basile (Italien)
Peter Schlemihls wundersame Geschichte A. von Chamisso
Petrosinella Giambattista Basile (Italien)
Pintosmalto Giambattista Basile (Italien)
Prinzessin Rosette Marie-Catherine d’Aulnoy (Frankreich)
Rapunzel Brüder Grimm
Ricdin-Ricdon Französische Märchen
Richilde J.K.A. Musäus
Riquet mit dem Schopf Charles Perrault (Frankreich)
Ritter Blaubart Charles Perrault (Frankreich)
Rotkäppchen Brüder Grimm
Rumpelstilzchen Brüder Grimm
Schneeweißchen und Rosenrot Brüder Grimm
Schneewittchen Brüder Grimm
Sechse kommen durch die ganze Welt Brüder Grimm
Siebenschön Ludwig Bechstein
Simeliberg Brüder Grimm
Sindbad der Seefahrer Tausendundeine Nacht
Sonne, Mond und Thalia Giambattista Basile (Italien)
Strohhalm, Kohle und Bohne Brüder Grimm
Tischlein deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack Brüder Grimm
Tom Thumb England
Undine de la Motte Fouque
Vardiello Giambattista Basile (Italien)
Verdeprato Giambattista Basile (Italien)
Viola Giambattista Basile (Italien)
Vom Fischer und seiner Frau Brüder Grimm
Vom klugen Schneiderlein Brüder Grimm
Von allzu großem Hochmut Gesta Romanum
Von dem Machandelboom Brüder Grimm
Von dem Sommer- und Wintergarten Brüder Grimm
Von dem Tode des Hühnchens Brüder Grimm
Von der Habsucht Gesta Romanum
Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen Brüder Grimm
Zwerg Nase Wilhelm Hauff

Tiere im Märchen: Der Löwe

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Tiere im Märchen: Der Löwe

Während der Löwe in der Fabel unangefochten seinen Platz als »König der Tiere« einnimmt, tritt er im (europäischen) Märchen seltener auf als andere wilde, gefährliche Tiere, etwa der Bär, der Fuchs und vor allem der Wolf. Dies liegt natürlich an dem Umstand, dass Letztere den Menschen, die unsere Märchen von Generation zu Generation weitergetragen und geformt haben, aus persönlichem Erleben bekannt waren – einen echten Löwen dagegen dürfte kaum ein Europäer je zu Gesicht bekommen haben. Da in der Antike der Mittelmeerraum und wohl auch der Balkan noch zum Verbreitungsgebiet der Löwen gehörte, wussten unsere Vorfahren immerhin von der Existenz des Raubtiers und hatten auch eine gewisse Vorstellung von dessen Größe und Aussehen. Eine wichtige Rolle für die Verbreitung dieses Wissens spielte der Physiologus, ein in frühchristlicher Zeit in griechischer Sprache verfasstes und in viele Sprachen übersetztes Buch, in dem reale Tiere, aber auch Fabelwesen, beschrieben und christlich-typologisch gedeutet werden. Über den Löwen heißt es dort unter anderem, dass die Löwin ihr Junges tot zur Welt bringt, es aber behütet, bis am dritten Tag der männliche Löwe kommt und dem Jungen ins Antlitz bläst (oder brüllt), um es zum Leben zu erwecken. Das Löwenjunge steht hier also für Christus, der durch den Willen Gottes von den Toten aufersteht. (Andererseits heißt es im ersten Petrusbrief: »Euer Widersacher der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe, suchend, wen er verschlinge.« Auch gilt der dem Löwen zugeschriebene Stolz als eines der sieben Laster.) Weiter nennt der Physiologus als Eigenart des Löwen, dass dieser wacht, auch wenn er scheinbar schlummert. Als steinerne Wächterfigur und vor allem in der Heraldik symbolisiert der Löwe Macht und Würde. Der romanische Doppellöwe – der eine verschlingt einen Menschen, der andere speit ihn wieder aus – drückt wiederum die christliche Vorstellung von Leben, Tod und Auferstehung aus. Die Beobachtung, dass sich der männliche Löwe nur selten an der Jagd beteiligt, sehr wohl aber seinen Löwenanteil bekommt und im Übrigen seine Aufgabe in der Aufrechterhaltung der Ordnung im Rudel sieht, lässt den »König der Tiere« zum Vorbild für menschliche Herrscher werden.

The Lady and the Lion

Das singende, springende Löweneckerchen, Illustration von Arthur Rackham

Beispiele

Als Begleiter und zweites Ich des Königs tritt der Löwe in dem Grimm’schen Märchen Die zwölf Jäger auf. Ein Königssohn vergisst seine Braut, nachdem er seinem Vater am Sterbebett versprochen hat, eine Andere zu heiraten. Die vergessene Braut sucht, als Jäger verkleidet, seine Nähe. Der Königssohn erkennt sie nicht, doch er hat einen Löwen (Wächter!) als Berater, der ihn dreimal darauf aufmerksam macht, dass mit dem vermeintlichen Jäger etwas nicht stimmt. Schließlich erkennt er die vergessene Braut an ihrem Ring und schickt die vom Vater ausgesuchte Andere zurück.

Gelegentlich tritt der Löwe im Märchen in folgender Konstellation auf: als eines von mehreren starken Tieren bildet er das Gefolge des Märchenhelden, dem er treu zur Seite steht und bei schwierigen Aufgaben hilft. Als Beispiel sei das Märchen Die dankbaren Tiere aus dem Pentamerone von Giambattista Basile genannt. Eine Abwandlung dieses Motivs findet sich in Clemens Brentanos Märchen von dem Witzenspitzel: Hier bildet der Löwe zusammen mit Bär, Wolf und Hund die Gefolgschaft des Gegenspielers des Helden (ein dummer, böser Riese), während der Held selbst auf die Hilfe vermeintlich schwacher Tiere setzt. Ein groteskes Gespann mit anderen großen Tieren bildet der Löwe in dem Schwank Von dem Tode des Hühnchen (Brüder Grimm): Alle lassen sie sich vom schwächsten Tier, dem Hahn, ziehen, was klarerweise nicht gut ausgeht.

Ein besonders schönes Märchen, in dem ein Löwe auftritt, ist Das singende, springende Löweneckerchen (ebenfalls Brüder Grimm). Das im Titel erwähnte Löweneckerchen ist ein kleiner Singvogel, der nur am Beginn des Märchens einen kurzen Auftritt hat; bei diesem Auftakt bringt sich ein Kaufmann unvorsichtigerweise in die Lage, seine jüngste Tochter mit einem Löwen zu verheiraten (vgl. Die Schöne und das Biest, Amor und Psyche).


Anne Anderson

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Anne Anderson

Anne Anderson (*1874, †1930) war eine schottische Illustratorin, hauptsächlich von Kinderbüchern.

 

Im Märchenatlas werden in folgenden Artikeln Bilder von Anderson gezeigt:

The Little Match Girl

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

Grimms Märchen

Hans Christian Andersen

Sonstige

Tiere im Märchen: Das Schwein

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Tiere im Märchen: Das Schwein

Das Hausschwein ist die domestizierte Form (und eine Unterart) des Wildschweins. Es wurde ähnlich früh domestiziert wie Hunde, Kühe, Schafe und Ziegen, jedoch im Unterschied zu den anderen Haustieren fast ausschließlich als Fleischlieferant gehalten. Ein Tier »durchzufüttern«, welches zu seinen Lebzeiten »zu nichts nütze« ist – im Gegensatz etwa zu Kuh oder Ziege, deren Milch der Mensch schon früh zu nutzen wusste –, war erst möglich, als ein gewisser Überschuss an Ressourcen zur Verfügung stand. Insofern verwundert es nicht, dass Schweine (unter anderem) für Glück und Wohlstand stehen. Von dieser Bedeutung zeugen Redewendungen wie »Schwein haben« oder »das hat ein Schweinegeld gekostet«. Andererseits waren ein paar Hausschweine äußerst praktisch, um Überschüsse der verderblichen Ernte und auch Essensreste zu verwerten. Symbol hierfür ist das Sparschwein, das mit kleinen Geldbeträgen gefüttert wird, die man gerade entbehren kann.

Schweinehaltung

Die Haltung größerer Herden von Schweinen unterschied sich von Anfang an deutlich von derjenigen, die mit Kühen, Schafen und Ziegen praktiziert werden konnte. Zum einen fehlt den Schweinen der natürliche Herdentrieb, sodass sie für eine nomadische Lebensweise ungeeignet sind, bei der die Tiere mit ihren Hirten weite Strecken zurücklegen. Zum anderen benötigen sie mäßige Temperaturen, Schatten und feuchte Böden. Ideale Fleischlieferanten waren Schweine somit für sesshafte Kulturen, in deren Siedlungsgebiet es ausreichend Wälder gab, um die Schweine dorthin zur Mast zu treiben. Dieser Unterschied spiegelt sich auch im Status des Schweinehirten wider. Dieser ist (anders als etwa der Schäfer) nicht Besitzer der Herde, sondern ein Untergebener, eventuell sogar Sklave, eines reichen Herrn, zu dessen Besitz unter anderem die Schweine gehören. Die Figur des Schweinehirten kommt in vielen europäischen Märchen vor, wobei das Hüten der Schweine einen besonders niedrigen Status symbolisiert.

Goble-goldene-wurzel

Ein Mädchen führt ihr Schwein zur Mast in den Wald. Illustration von Warwick Goble zu Die goldene Wurzel.

Besonders reichlich Futter in Form von Eicheln, Bucheckern und anderen Baumfrüchten (auch wildes Obst) boten die Wälder den Schweinen naturgemäß im Herbst. Diese Art der Nutzung von Wäldern war in Mitteleuropa bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitet und prägte sowohl das (Haus-)Schwein als auch den so genutzten Wald. Die Sauen wurden häufig von Keilern (den männlichen Wildschweinen) gedeckt, sodass sich das Hausschwein immer wieder mit dem Wildschwein mischte. Für den wirtschaftlichen Wert eines als Weide genutzten Waldes (»Hutewald«) waren Eichen und Buchen entscheidend, also zwei Baumarten, die heute oft als typisch für einen »ursprünglichen« oder »natürlichen« (deutschen) Wald angesehen werden, im Gegensatz zu den für die Holzwirtschaft wichtigen Nadelhölzern. Tatsächlich waren auch die Eichen- und Buchenwälder Nutzwälder, nur war die Form der Nutzung eine andere als in einem primär auf Holzeinschlag ausgerichteten Wald. Dies ist vielen heutigen Waldliebhabern nicht bewusst. Als zum Beispiel im Frühsommer 2018 das Wort »Mastjahr« durch die Medien ging – viele Baumarten, neben Eichen und Buchen auch Nadelbäume, hatten außergewöhnlich viele Samen ausgebildet – war dieses Wort für viele Menschen (auch für die Autorin dieses Textes) erklärungsbedürftig: Hintergrund ist die jahrhundertelang übliche Form der Schweinehaltung, bei der sich die Tiere ihr Futter im Wald suchten. Wie dann im Herbst 2018 nicht zu übersehen war, ist der Tisch in einem Mastjahr überreichlich mit Eicheln und Bucheckern gedeckt.

Schweinefleisch und Schweinefleischtabu

Der traditionellen Form der Schweinehaltung entspricht eine Esskultur, in der das Schweineschnitzel und die Bulette (Frikadelle) weit weniger präsent sind als die teilweise sehr aufgeheizte Debatte über den Verzehr bzw. die Ablehnung von Schweinefleisch vermuten lässt. In der Regel wurden die Schweine nach Ende der »Eichelmast«, also in den Monaten November bis Dezember, geschlachtet, und das Fleisch durch Pökeln, Räuchern und Dörren haltbar gemacht. Frisches Schweinefleisch, wie es für Schweinebraten, Steaks und Schnitzel verwendet wird, war also die absolute Ausnahme, selbst für diejenigen, die überhaupt in den Genuss von Schweinefleisch kamen. Erst mit dem Übergang zur Haus- bzw. Stallmast wurde eine vom jahreszeitlichen Verlauf entkoppelte Versorgung mit frischem Schweinefleisch zumindest ansatzweise möglich. Mit der Nähe zwischen Mensch und Schwein verbunden war allerdings ein Imageverlust des Schweins, das seiner Wühlneigung nun nicht mehr im Waldboden, sondern notgedrungen im (eventuell eigenen) Dreck nachkam. Auch andere Verhaltensweisen wie das Suhlen im Schlamm (Schweine haben keine Schweißdrüsen!) und das wenig wählerische Fressverhalten trugen dem eigentlich reinlichen Tier den Ruf des »Dreckschweins« ein. In diesem Zusammenhang ist auch das Schweinefleischtabu der Juden und Muslime zu sehen. Jahrtausende vor der Entstehung des Judentums gab es im Vorderen Orient die für die Schweinehaltung idealen lockeren Wälder, und Schweine waren entsprechend weit verbreitet. Doch infolge von Abholzung und Desertifikation waren diese günstigen Bedingungen zur Entstehungszeit des Judentums nicht mehr gegeben. Die gelegentlich noch gehaltenen Schweine lebten unter Umständen, die als schmutzig und zum Teil wahrscheinlich ekelerregend wahrgenommen werden konnten. Dieselben ungünstigen Haltungsbedingungen für Schweine gab es, als sehr viel später im Orient der Islam entstand. Im Christentum dagegen, das sich vom Orient aus in Richtung Europa ausbreitete (also in bewaldetes Gebiet), wird das Schwein im Alten Testament zwar noch als unreines Tier genannt, das man nicht essen soll, doch wird im Neuen Testament (Brief des Paulus an die Römer, Römerbrief) das von den Juden übernommene Schweinefleischtabu als nicht mehr bindend erklärt. Paulus rät, das Streiten über Speisevorschriften überhaupt zu vermeiden, denn: »Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.«

Eber, wildes Schwein und Mensch

Ein bisher noch nicht erwähnter Aspekt, der auch für die Symbolik des Schweins im Märchen eine Rolle spielt, ist die Aggressivität des männlichen Schweins, des Ebers. Die Angriffslust des Ebers kann sich gegen Menschen oder seine Umgebung richten, die er verwüstet. Es ist in der Regel nicht klar auszumachen, ob es sich bei einem so charakterisierten Schwein tatsächlich um einen Eber (männliches Hausschwein), ein Wildschwein (Keiler oder Bache) oder allgemein um ein wild gewordenes / verwildertes Schwein handelt. Da bei der oben beschriebenen Form der Schweinehaltung der Kontakt zwischen Hausschweinen und Wildschweinen in gewissem Umfang bestehen blieb, ist eine solche Unterscheidung auch nebensächlich. Denn egal, ob Wildschweine oder in den Wald getriebene Hausschweine ein Feld oder einen Garten umpflügen, ist das Ergebnis für den Geschädigten in jedem Falle desaströs. Dass ein solcher Angriff, selbst wenn er sich nicht direkt gegen Menschen richtete, in früheren Zeiten existenzbedrohend werden konnte, ist stark anzunehmen. In Jahren mit witterungsbedingten Missernten war es nicht unwahrscheinlich, dass aus dem gleichen Grund die Eichelmast für die Schweine schmal ausfiel. Und wenn die Menschen versuchten, durch Rodungen ihre Ackerfläche zu vergrößern, geschah dies auf Kosten des Weidewalds für die Hausschweine (und des Lebensraums der Wildschweine). Mit anderen Worten: Mensch und Schwein kamen sich ins Gehege. Von daher verwundert es nicht, dass neben den zahlreichen Märchen mit Schweinehirten ein zweites Märchenmotiv mit Schweinen sehr häufig vorkommt, nämlich das wilde Schwein, manchmal auch Eber und manchmal Wildschwein genannt, das alle in Angst und Schrecken versetzt und das der Märchenheld besiegen muss. Dies ist ein sehr altes Motiv, das schon in der griechischen Antike (Herakles besiegt den erymanthischen Eber) und im Nibelungenlied (auch Siegfried tötet einen gefährlichen Eber) vorkommt.

Abschließend sei auf einen Aspekt hingewiesen, den der Kulturwissenschaftler Thomas Macho ins Zentrum seines »Schweineportraits« (Schweine. Ein Portrait; erschienen 2015 in der Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz) stellt. Nach Ansicht des Autors sind Schweine uns »nah und fern zugleich«, was zunächst etwas rätselhaft klingen mag. Gemeint ist mit Nähe, dass uns Schweine in vielerlei Hinsicht ähnlich sind (was physiologisch tatsächlich der Fall ist) und wir daher dazu neigen, sie als Projektionsfläche zu benutzen; gleichzeitig sehen wir in ihnen Eigenschaften bzw. schreiben ihnen welche zu, die uns an uns selbst nicht gefallen (siehe »dummes/faules Schwein« oder das Adjektiv »schweinisch« für sexuell Anstößiges). Auf der anderen Seite hat der Mensch das Schwein wie kaum ein anderes Lebewesen zum Objekt gemacht, dessen einziger Lebenszweck es anscheinend ist, von ihm verspeist zu werden.

Eine sehr ähnliche Vorstellung vom speziellen Verhältnis des Menschen zum Schwein hat offenbar der Illustrator und Buchautor Hans Traxler, der dem Schwein in seinem 2010 erschienen Buch »Ich, Gott und die Welt« ein hinreißend schönes Bildergedicht gewidmet hat. Das Gedicht beginnt so:

Damit sie ihm nicht fehle,
hat jeder Mensch die Seele.
Tiere haben keine.
Ausgenommen: Schweine.

Märchen mit Schweinen

Wie oben bereits erwähnt, gibt es verschiedene Märchen, in denen eine Schweineherde und (vor allem) ein Schweinehirt auftritt. Die Schweine sind in diesem Fall ein Attribut, das den Schweinehirten (oft der Märchenheld) als in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehend kennzeichnet. Dabei wäre es zu einfach, den niedrigen Status als Übertragung von dem Schwein zugeschriebenen Attributen wie »dreckig« und »vom Abfall lebend« zu interpretieren; vielmehr ergibt dieser sich aus den Besitzverhältnissen in einer sesshaften Gesellschaft. Beispiele sind die folgenden Märchen:

  • Der Schweinehirt (Hans Christian Andersen): Hier handelt es sich um ein Kunstmärchen, in dem das Motiv des am unteren gesellschaftlichen Rand stehenden Schweinehirten eigenwillig umgeformt wurde. Denn der Schweinehirte ist in Wirklichkeit ein armer Prinz, der seiner angebeteten Prinzessin romantische Geschenke macht, die diese aber nicht zu schätzen weiß. Um sich zu rächen, schleicht er sich am Hof als Schweinehirt ein, bringt die Prinzessin in eine peinliche Lage und lässt sie am Ende stehen.
  • Hans mein Igel (Brüder Grimm): In diesem Märchen ist der Held gleich doppelt geschlagen. Er wird wegen unbedachter Worte seines reichen Vaters als Igel geboren und da der Vater sich seinetwegen schämt, muss er im Wald Schweine hüten. Doch er kämpft sich nach oben, gewinnt die Prinzessin, verliert seine Stachelhaut und wird am Ende auch vom Vater anerkannt.
  • Die goldene Wurzel (Giambattista Basile): In diesem Märchen hüten drei Schwestern jeweils ein Schwein, welches ihnen ihr armer Vater als einzige Mitgift gegeben hat. Die beiden Älteren lassen die Jüngste nicht mit auf ihre schöne Wiese, weshalb diese mit ihrem Schwein in den Wald geht (was, wie wir oben gesehen haben, ohnehin die bessere Methode ist). Beim Herumwühlen stößt das Schwein auf eine goldene Wurzel, die den Einstieg in eine zauberhafte unterirdische Welt markiert. Die Episode mit dem Schwein bildet nur den Auftakt des komplexen Märchens, wobei das Schwein eindeutig ein Glückssymbol darstellt.

Die zweite Gruppe von Märchen mit Schweinen bilden diejenigen, in denen es ein wildes Schwein bzw. einen Eber zu besiegen gilt.

  • Das tapfere Schneiderlein (Brüder Grimm): Um die Königstochter zu bekommen, muss der Märchenheld unter anderem ein schreckliches Wildschwein fangen, was ihm durch eine List gelingt: Er reizt das Schwein, sodass es hinter ihm her rennt, läuft in eine einsame Kapelle im Wald – das Schwein ihm nach, dann springt sogleich durch ein Fenster wieder heraus und verschließt von außen die Tür.
  • Der singende Knochen (Brüder Grimm): Das Wildschwein, das einen ganzen Landstrich in Atem hält, indem es Äcker umpflügt und angeblich auch Menschen tötet, bildet in diesem Märchen das Eingangsmotiv. Der König verspricht demjenigen seine Tochter, der das Land von dem Untier befreit. Zwei ungleiche Brüder nehmen die Herausforderung an. Der Jüngere tötet das Schwein, der Ältere aber seinen Bruder, und erst viele Jahre später kommt der Brudermord ans Licht.

Eine kurze Nebenrolle spielt das Schwein in dem Märchen Hans im Glück (Brüder Grimm). Hans hatte ursprünglich von seinem Dienstherrn einen Klumpen Gold als Lohn bekommen und diesen später gegen eine Kuh getauscht. Die Kuh tauscht er gegen ein Schwein, weil ihm dessen Fleisch verlockender scheint. Das ist freilich nicht sein letzter Handel, aber das wichtigste ist, dass sich Hans stets als Glückspilz sieht.

Die Hauptrolle spielt das Schwein in dem Märchen König Schwein, das in der Sammlung von Francesco Straparola enthalten ist. Dieses Märchen ist verwandt mit dem oben schon erwähnten Grimm’schen Märchen Hans mein Igel, in dem Schweine dem Helden als Begleitfiguren zur Seite gestellt sind. Hier dagegen ist das Schwein selbst der Märchenheld, nämlich ein in Tiergestalt (Schwein) geborener junger Mann, der sich ungeachtet seines Äußeren in den Kopf gesetzt hat, eine schöne Frau zu heiraten. In dieser nicht gerade zarten Geschichte zeigt sich stärker als in allen anderen »Schweinemärchen« die Ambivalenz des Schweins, wie sie in Thomas Machos Portrait hervorgehoben wird.

Ebenfalls stark vermenschlichte Züge haben Die drei kleinen Schweinchen in der gleichnamigen englischen Kindergeschichte. Zwei der Schweinchen leben fröhlich in den Tag, sorgen sich nicht vor dem bösen Wolf und begnügen sich mit einfachsten Häuschen aus Stroh bzw. Holz. Das dritte aber ist fleißig und baut ein wehrhaftes Haus aus Stein. Am Ende landet keines der Schweinchen im Bauch des Wolfes, sondern der Wolf im Kochtopf des sorgsamen Schweins.

Außerdem interessant: Übersichtsartikel zur Rolle und Funktion von Tieren im Märchen

Anne Anderson

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Anne Anderson

Anne Anderson (*1874, †1930) war eine schottische Illustratorin, hauptsächlich von Kinderbüchern.

 

Im Märchenatlas werden in folgenden Artikeln Bilder von Anderson gezeigt:

The Little Match Girl

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen

Grimms Märchen

Hans Christian Andersen

Sonstige

Armut gilt nichts, Reichtum ist Verstand

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Märchen aus Josef Haltrichs Sammlung Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen (1856);

Ein kluger, aber armer Mann verlässt sein Dorf und seine Frau, um in der Fremde Reichtum zu erwerben. Seiner Armut wegen erachten seine Nachbarn alles für töricht, was er sagt, so gescheit es auch sein mag. Er verdingt sich also bei einem großen Herrn als Ziegenhirte und wird nach zwanzig Jahren für seinen treuen Dienst reich belohnt. Außerdem gibt ihm sein Herr einen wichtigen Rat mit auf den Weg: Daheim angekommen solle er erst dreimal seinen Zorn abkühlen lassen, bevor er etwas tut.

In seinem Dorf angekommen, wird er von niemandem erkannt. Er kehrt zunächst bei seinem Nachbarn ein und sieht seine Frau mit einem jungen Mann ins Haus gehen. Beide scheinen sehr glücklich zu sein, und als er vom Nachbarn erfährt, dass im Haus der Nachbarin (seiner Frau) morgen Hochzeit sei, packt ihn die Wut. Fast hätte er sein treuloses Weib ermordet, doch besinnt er sich rechtzeitig auf die Mahnung seines Herrn. Beherrscht tritt er also vor seine Frau, die ihn ebenfalls nicht erkennt. Freundlich bittet sie ihn dazubleiben, denn heute sei die Hochzeit ihres Sohnes. Nun schämt sich der Mann für seinen üblen Verdacht gegen die Frau und dafür, dass er seinen damals noch kleinen, inzwischen erwachsenen Sohn vergessen hat. Glücklich feiert die Familie das Wiedersehn und die Hochzeit des Sohnes.

Der Mann aber wurde wegen seines Reichtums nun bald bekannt im Dorfe und angesehen, und was er jetzt immer sagte, das galt bei den Leuten und fand Glauben. Da erzählte er eines Tages in einer Versammlung: er habe eines Abends seine Ackereisen ins Stroh gelegt, und siehe da, bis zum Morgen hätten die Mäuse dieselben gefressen. Die Leute machten große Augen, es fiel aber keinem ein, daran zu zweifeln.

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Armut und Reichtum im Märchen

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Ein typisches Merkmal von Volksmärchen ist das holzschnittartige Nebeneinanderstellen von scharfen Gegensätzen. Eines dieser Gegensatzpaare ist das Motiv von Armut und Reichtum. Sofern es stimmt, dass die uns bekannten, kanonisierten und verschriftlichten Märchen der Erzähltradition des einfachen Volkes entsprungen sind, dann ist die Häufigkeit des Motivs von Armut und Reichtum auch nicht verwunderlich: schließlich waren die meisten Menschen in den meisten Ländern die meiste Zeit über arm.

Die Sterntaler. Illustration Gertrud Caspari (Kommt ins Märchenreich, Alfred Hahn’s Verlag, Leipzig, 1952)

Märchen vom Hunger und Märchen von der Armut der Seele

Bei der Interpretation dieses Befundes sollte man freilich keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Wenn im Märchen von Armut die Rede ist, dann kann dies materielle Not bedeuten, aber auch Entbehrungen der Seele. Allgemein kann wohl die Faustregel gelten, dass archetypische Volksmärchen eher symbolisch zu deuten sind, während die Kunstmärchen v.a. des 19. Jahrhunderts, wenn sie Armut und Reichtum thematisieren, vor dem Hintergrund der zunehmenden Industrialisierung und Entwurzelung eindringliche sozialkritische Erzählungen im Gewand des Märchens sind.

Sozialkritik

Es scheint einfacher, die Betrachtung von Märchen über Armut und Reichtum entgegen der Chronologie mit der zweiten Art von Märchen zu beginnen. So ist beispielsweise die Geschichte vom Kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzchen (1846) von Hans Christian Andersen eine einzige Anklage: Ein kleines, bitterarmes Mädchen, das für seinen Lebensunterhalt auf der Straße Streichhölzer verkaufen muss, erfriert am Weihnachtsabend mit Blick auf die Lichter in den festlich geschmückten Stuben, zu denen sie niemals Zutritt haben wird. Sie ist allein mit dem letzten wärmenden Gedanken an Gott im Himmel — und an ihre Großmutter, die schon dort ist und als einziger Mensch jemals gut zu ihr war. Man kann dies schlicht finden, man kann sich für die Rührung, die man empfindet schämen. Aber man kann kaum verdrängen, dass Armut in einem reichen Land etwas zutiefst Ungerechtes und Beschämendes ist.

Ähnlich anklagend ist das Märchen Der glückliche Prinz (1888) von Oscar Wilde. Hier kommt — in Gestalt des glücklichen Prinzen — die Perspektive des gutherzigen, aber abgeschottet lebenden Reichen ins Spiel, der, als er von der Not der Armen erfährt, nach und nach alles hergibt, am Ende sogar sein bleiernes Herz und seinen Freund, einen Vogel. Im Vergleich zum Mädchen mit den Schwefelhölzchen keimt hier zumindest eine Hoffnung auf, genährt aus Aufklärung und Sozialromantik, auch wenn sie sich am Ende nicht erfüllt, nämlich dass „die Reichen“ (oder einige von ihnen), wohl helfen würden, wenn sie nur die Wahrheit über das Leben der Armen wüssten.

Von der Macht und der Ohnmacht des Geldes

Eines der bekanntesten und komplexesten Märchen zu Armut und Reichtum ist das schon erwähnte Kalte Herz von Wilhelm Hauff. Hier geht es nicht um materielle Not, sondern den mit Reichtum verbundenen Status, die mit Armut verbundene Ausgrenzung, vor allem aber um die Frage, was das Streben nach Reichtum und Status mit unseren Seelen und unseren Beziehungen zu anderen Menschen macht. Interessant ist bei dieser Geschichte auch der Wechsel zwischen realistischer Erzählung (beginnende Industrialisierung im Schwarzwald) und der Märchenwelt mit dem bösen Holländer-Michl und dem hilfreichen Glasmännchen.

Zwischen Realismus und Märchen springt auch Theodor Storms Erzählung von der Regentrude hin und her. Hier stehen sich auf der realistischen Ebene als Antagonisten die arme Witwe Frau Trine und der reiche Wiesenbauer gegenüber. Frau Trine hat sich ihren Glauben an die Tradition und die alten Geschichten, insbesondere an die Regen spendende Regentrude bewahrt. Dagegen glaubt der Wiesenbauer nur an den neuen Gott, das Geld. Damit steht er, ohne es zu wissen, mit Regentrudes Gegenspieler, dem Feuerteufel im Bunde. Hinter dem Konflikt zwischen arm und reich steht also noch ein anderer, vielleicht tiefgreifender Konflikt, nämlich der zwischen unvereinbaren Wertevorstellungen.

Der Gegensatz zwischen Armut und Reichtum wird auch in vielen schwankartigen Märchen aufgegriffen. Diese Märchen handeln davon, wie der gewitzte Arme einen Sieg über den durch seine Gier verblendeten Reichen erringt. Ein Beispiel ist Der kleine und der große Klaus von Hans Christian Andersen. Andere Märchen variieren das Thema des aus dem Heer entlassenen, ehemaligen Soldaten. Mittellos, aber gewitzt und unerschrocken nimmt der es selbst mit dem Teufel und Anverwandten auf, siehe z.B. Des Teufels rußiger Bruder (Brüder Grimm) oder Das Feuerzeug (Hans Christian Andersen).

Von der Armut der Kinder

Viele Märchen erzählen von der Armut der Kinder, etwa die Grimm’schen Märchen Hänsel und Gretel, Sterntaler oder Marienkind. Hier bedeutet Armut gleichzeitig Verlassensein und den Verlust der Geborgenheit. Die auf sich allein gestellten Kinder müssen, um ihre Situation zu überwinden, die ihnen vertrauten Handlungsmuster hinter sich lassen, sich emanzipieren und vielleicht sogar etwas »Unmoralisches« tun. So stößt etwa Gretel die Hexe in den Ofen, anstatt darauf zu warten, dass ihr eingesperrter Bruder irgendeine rettende Idee hat. Ganz ähnlich verhält es sich in Perraults Däumling, den seine verarmten Eltern zusammen mit ihren anderen sechs Söhnen im Wald aussetzen, wo sie in die Hände von Menschenfressern geraten. Auch hier ist es der geringste der Brüder (der kümmerliche, kleine Däumling), der die Initiative ergreift; allerdings kehrt er selbst (im Gegensatz zu seinen Brüdern) nach seinem emanzipatorischen Schritt nicht mehr zu den Eltern zurück.

Einen ganz anderen Weg, nämlich den der christlichen Barmherzigkeit, wählt das Sterntaler-Kind, das in bitterster Not die Bedürftigkeit anderer erkennt und buchstäblich sein letztes Hemd hergibt. Auch Marienkind ist ein Märchen, das stark von christlichen Moralvorstellungen geprägt ist. Hier bewahrt die Jungfrau Maria das Töchterchen eines armen Holzfällers vorm Hungertod, indem sie das Mädchen zu sich nimmt, das später aber durch Nichteinhaltung eines Versprechens Schuld auf sich lädt. Die schicksalhafte Verknüpfung zwischen Armut und Schuld (Schulden?) kann erst im dramatischen Finale aufgelöst werden, als das Mädchen (inzwischen eine junge Mutter) bereits auf dem Scheiterhaufen steht und in letzter Sekunde von Maria erlöst wird.

Reichtum und Glück

Die Vielzahl der Märchen über Prinzen und Prinzessinen, Königstöchtern und Königssöhnen lässt natürlich darauf schließen, dass Menschen unabhängig von ihrem eigenen Status sich immer schon durch Erzählungen von Reichtum – Gold, Edelsteinen, Schlössern, prachtvollen Kleidern – haben faszinieren lassen. Oft geht das Streben nach Reichtum mit dem Streben nach persönlichem Glück Hand in Hand, etwa, wenn ein junger Mann niederen Standes sich aufmacht, die Hand der Königstochter zu gewinnen — und das halbe Königreich dazu (siehe z.B. Die goldene Gans, Das tapfere Schneiderlein). In anderen Märchen ist der Märchenheld / die Märchenheldin zu Beginn der Handlung reich, doch der Reichtum erweist sich wie das Glück als etwas, das von heut auf morgen verschwinden kann und erst nach schweren Prüfungen wieder zu erringen ist. Insofern ist wohl Reichtum im Märchen als Metapher für das Glück (günstiges Schicksal) zu verstehen. Und das Glück gehört natürlich dem Tüchtigen.

Auch in den Märchen vom Wünschen (siehe z.B. Der Arme und der Reiche) geht es um das Verhältnis von materiellem Wohlstand und innerer Zufriedenheit. Die Wünsche des Reichen an Gott, eine gute Fee oder Zauberin sind »töricht«; schon das Wünschen selbst bedeutet für ihn Stress, da jeder geäußerte Wunsch den Verzicht auf etwas noch Wertvolleres bedeuten könnte. Er gerät in groteske Situationen und muss am Ende einen Verlust verbuchen. In anderen Märchen ist es der Teufel oder eine andere Symbolfigur des Bösen, der dem Märchenhelden anbietet, Wünsche zu erfüllen. Bei diesem Pakt mit dem Teufel verkauft oder verpfändet der Märchenheld seine Seele, um materiellen Reichtum zu erlangen. In schwankartigen Märchen gelingt es dem Helden aber am Ende, den Teufel zu überlisten (Der Schmied von Jüterbog). In Kunstmärchen wie Das kalte Herz gelangt der Held zu tiefer Reue und kann dadurch das Böse besiegen.

Der Beitrag Armut und Reichtum im Märchen erschien zuerst auf Märchenatlas.

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